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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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Momente, welche im gegebenen Anfangspunkt in mir wirken-
den Antriebe stehen als Ursachen dafür ein, dass ich den
Endpunkt so und nicht anders mir denke? Diese zum Denk-
geschehen und damit nochmals zur Kausalität abbiegende
Deutung verschiebt von neuem den Sinn der Frage; man rückt
dabei wieder das Eigentümliche des Zwecks oder Sollens nur
aus den Augen, statt es zu erklären. Sondern: welche Art
von Gesetzlichkeit, die im Inhalt des Gedachten gründet,
welche Methode des Denkens, von der sich im Denken
selbst Rechenschaft geben
lässt, bestimmt den Gedanken,
das und das solle sein? Mein Gedanke findet sich nicht be-
stimmt durch eine sichere Kenntnis oder wahrscheinliche Hypo-
these über einen ursachlichen Zusammenhang, gemäss welchem
der Moment B durch den Moment A voraus (im kausalen Sinne)
determiniert wäre, sondern es bleibt ihm ein gewisser Spiel-
raum, er schwankt in gewissen Grenzen; was also, welcher ein-
zusehende Grund
, welches gerechtfertigte Verfahren des
Denkens
lässt ihn nicht in dieser Schwebe, sondern fixiert
ihn, d. h. giebt ihm Einheit, so dass er nicht mehr so oder
so aussagt, sondern nur so.

Unsere Ableitung giebt hierauf die Antwort: Einzig
das formale Gesetz der notwendigen Uebereinstimmung unsrer
Gedanken unter sich, je in dem Kreise den wir übersehen
oder der unsrer Erwägung vorliegt, bestimmt diesen Gedanken.
Der letztbestimmende Grund einer jeden Zwecksetzung, das
Endziel, im Hinblick worauf jeder besondere Zweck sich be-
stimmt, ist nichts andres als die jeder einzelnen Willensent-
scheidung vorgehende weil logisch übergeordnete Einheit,
in der alle Zwecksetzung sich vereinige. Das ist das "End-
ziel", d. h. der letzte Endpunkt, den alle zweckliche Erwägung
schliesslich im Auge hat; gemäss diesem letzten Ausblick,
dieser letzten "Absicht" erst bestimmt sich dann auch jedes
nähere, empirisch erreichbar gedachte Ziel; während diese letzte
Absicht selbst immer unerreicht und unerreichbar bleibt, um
so sicherer aber den unverrückbaren Richtpunkt für alle
und jede zweckliche Erwägung, das oberste Prinzip für sie
abgiebt.


Momente, welche im gegebenen Anfangspunkt in mir wirken-
den Antriebe stehen als Ursachen dafür ein, dass ich den
Endpunkt so und nicht anders mir denke? Diese zum Denk-
geschehen und damit nochmals zur Kausalität abbiegende
Deutung verschiebt von neuem den Sinn der Frage; man rückt
dabei wieder das Eigentümliche des Zwecks oder Sollens nur
aus den Augen, statt es zu erklären. Sondern: welche Art
von Gesetzlichkeit, die im Inhalt des Gedachten gründet,
welche Methode des Denkens, von der sich im Denken
selbst Rechenschaft geben
lässt, bestimmt den Gedanken,
das und das solle sein? Mein Gedanke findet sich nicht be-
stimmt durch eine sichere Kenntnis oder wahrscheinliche Hypo-
these über einen ursachlichen Zusammenhang, gemäss welchem
der Moment B durch den Moment A voraus (im kausalen Sinne)
determiniert wäre, sondern es bleibt ihm ein gewisser Spiel-
raum, er schwankt in gewissen Grenzen; was also, welcher ein-
zusehende Grund
, welches gerechtfertigte Verfahren des
Denkens
lässt ihn nicht in dieser Schwebe, sondern fixiert
ihn, d. h. giebt ihm Einheit, so dass er nicht mehr so oder
so aussagt, sondern nur so.

Unsere Ableitung giebt hierauf die Antwort: Einzig
das formale Gesetz der notwendigen Uebereinstimmung unsrer
Gedanken unter sich, je in dem Kreise den wir übersehen
oder der unsrer Erwägung vorliegt, bestimmt diesen Gedanken.
Der letztbestimmende Grund einer jeden Zwecksetzung, das
Endziel, im Hinblick worauf jeder besondere Zweck sich be-
stimmt, ist nichts andres als die jeder einzelnen Willensent-
scheidung vorgehende weil logisch übergeordnete Einheit,
in der alle Zwecksetzung sich vereinige. Das ist das „End-
ziel“, d. h. der letzte Endpunkt, den alle zweckliche Erwägung
schliesslich im Auge hat; gemäss diesem letzten Ausblick,
dieser letzten „Absicht“ erst bestimmt sich dann auch jedes
nähere, empirisch erreichbar gedachte Ziel; während diese letzte
Absicht selbst immer unerreicht und unerreichbar bleibt, um
so sicherer aber den unverrückbaren Richtpunkt für alle
und jede zweckliche Erwägung, das oberste Prinzip für sie
abgiebt.


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[36/0052] Momente, welche im gegebenen Anfangspunkt in mir wirken- den Antriebe stehen als Ursachen dafür ein, dass ich den Endpunkt so und nicht anders mir denke? Diese zum Denk- geschehen und damit nochmals zur Kausalität abbiegende Deutung verschiebt von neuem den Sinn der Frage; man rückt dabei wieder das Eigentümliche des Zwecks oder Sollens nur aus den Augen, statt es zu erklären. Sondern: welche Art von Gesetzlichkeit, die im Inhalt des Gedachten gründet, welche Methode des Denkens, von der sich im Denken selbst Rechenschaft geben lässt, bestimmt den Gedanken, das und das solle sein? Mein Gedanke findet sich nicht be- stimmt durch eine sichere Kenntnis oder wahrscheinliche Hypo- these über einen ursachlichen Zusammenhang, gemäss welchem der Moment B durch den Moment A voraus (im kausalen Sinne) determiniert wäre, sondern es bleibt ihm ein gewisser Spiel- raum, er schwankt in gewissen Grenzen; was also, welcher ein- zusehende Grund, welches gerechtfertigte Verfahren des Denkens lässt ihn nicht in dieser Schwebe, sondern fixiert ihn, d. h. giebt ihm Einheit, so dass er nicht mehr so oder so aussagt, sondern nur so. Unsere Ableitung giebt hierauf die Antwort: Einzig das formale Gesetz der notwendigen Uebereinstimmung unsrer Gedanken unter sich, je in dem Kreise den wir übersehen oder der unsrer Erwägung vorliegt, bestimmt diesen Gedanken. Der letztbestimmende Grund einer jeden Zwecksetzung, das Endziel, im Hinblick worauf jeder besondere Zweck sich be- stimmt, ist nichts andres als die jeder einzelnen Willensent- scheidung vorgehende weil logisch übergeordnete Einheit, in der alle Zwecksetzung sich vereinige. Das ist das „End- ziel“, d. h. der letzte Endpunkt, den alle zweckliche Erwägung schliesslich im Auge hat; gemäss diesem letzten Ausblick, dieser letzten „Absicht“ erst bestimmt sich dann auch jedes nähere, empirisch erreichbar gedachte Ziel; während diese letzte Absicht selbst immer unerreicht und unerreichbar bleibt, um so sicherer aber den unverrückbaren Richtpunkt für alle und jede zweckliche Erwägung, das oberste Prinzip für sie abgiebt.

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/52>, abgerufen am 22.11.2024.