schlechthin sagen, dass wir die Thatsache erkannt haben; denn keine einzige der Bestimmungen, nach denen wir sie erkannt zu haben meinen, kann absolut gelten, weder die der Zahl noch der Grösse, der Zeit, des Orts, der Qualität u. s. f. Wieviel auch an ihr bestimmt, nämlich hypothetisch bestimmt ist, immer bleibt noch irgendwelche Unbestimmtheit zurück; die Thatsache bleibt immer das X der Erkenntnis. Und dies X hat man zur bekannten Grösse, dies Letzte zum Ersten gemacht. Warum? Weil freilich die gesetzliche Notwendigkeit dieser Determination der Thatsache a priori erkannt werden kann. Man nimmt im Begriff des Gegebenen der Wahrnehmung eben das voraus, was als letztes Ergebnis der Erkenntnis heraus- kommen soll. Die Wissenschaft fühlt dies, indem sie alle ihre, noch so sehr auf Thatsachen gestützten allgemeinen Sätze, und erst recht alle bloss thatsächlichen Aufstellungen lediglich als Hypothesen giebt. Hat man selbst den euklidischen Raum, den wir so sicher thatsächlich wahrzunehmen glauben, der eine so unleugbare Voraussetzung unserer vermeintlich thatsäch- lichsten Wahrnehmungen ist, für Hypothese erklären können, wie viel mehr alles, was nicht bloss unter dieser, sondern unter zahlreichen weiteren, meist ungeprüften, kaum überhaupt bewussten Voraussetzungen als Thatsache, durch Wahrnehmung gegeben, geglaubt wird. Der sichere Glaube der gemeinen Erkenntnis, die auf Thatsachen bei jedem Schritt zu fussen und sie mit Händen zu packen meint, ist wahrlich nicht ein Beweis grösserer, sondern unvergleichlich geringerer objektiver Sicherheit dieser Erkenntnis. Man ist so bald am Ziel, weil man sich das Ziel so gar nahe gesteckt hat; weil man zufrieden ist mit Thatsachen, die es schon morgen, ja im nächsten Augen- blick nicht mehr sind; während Wissenschaft den Ehrgeiz hat, solche Thatsachen zu erreichen, die es noch morgen und über- morgen, womöglich aber in alle Ewigkeit sein sollen. Dies letztere zwar bleibt ihr unerreichbar. Aber es ist auch etwas, eben dies zu erkennen, sich klar zu machen, dass es ein un- endlicher Prozess der Erkenntnis ist, auf den die Frage nach der Thatsache führt. Thatsachenbestimmungen sind in jedem Fall nur Näherungswerte; absolute Thatsachen gäbe es nur
schlechthin sagen, dass wir die Thatsache erkannt haben; denn keine einzige der Bestimmungen, nach denen wir sie erkannt zu haben meinen, kann absolut gelten, weder die der Zahl noch der Grösse, der Zeit, des Orts, der Qualität u. s. f. Wieviel auch an ihr bestimmt, nämlich hypothetisch bestimmt ist, immer bleibt noch irgendwelche Unbestimmtheit zurück; die Thatsache bleibt immer das X der Erkenntnis. Und dies X hat man zur bekannten Grösse, dies Letzte zum Ersten gemacht. Warum? Weil freilich die gesetzliche Notwendigkeit dieser Determination der Thatsache a priori erkannt werden kann. Man nimmt im Begriff des Gegebenen der Wahrnehmung eben das voraus, was als letztes Ergebnis der Erkenntnis heraus- kommen soll. Die Wissenschaft fühlt dies, indem sie alle ihre, noch so sehr auf Thatsachen gestützten allgemeinen Sätze, und erst recht alle bloss thatsächlichen Aufstellungen lediglich als Hypothesen giebt. Hat man selbst den euklidischen Raum, den wir so sicher thatsächlich wahrzunehmen glauben, der eine so unleugbare Voraussetzung unserer vermeintlich thatsäch- lichsten Wahrnehmungen ist, für Hypothese erklären können, wie viel mehr alles, was nicht bloss unter dieser, sondern unter zahlreichen weiteren, meist ungeprüften, kaum überhaupt bewussten Voraussetzungen als Thatsache, durch Wahrnehmung gegeben, geglaubt wird. Der sichere Glaube der gemeinen Erkenntnis, die auf Thatsachen bei jedem Schritt zu fussen und sie mit Händen zu packen meint, ist wahrlich nicht ein Beweis grösserer, sondern unvergleichlich geringerer objektiver Sicherheit dieser Erkenntnis. Man ist so bald am Ziel, weil man sich das Ziel so gar nahe gesteckt hat; weil man zufrieden ist mit Thatsachen, die es schon morgen, ja im nächsten Augen- blick nicht mehr sind; während Wissenschaft den Ehrgeiz hat, solche Thatsachen zu erreichen, die es noch morgen und über- morgen, womöglich aber in alle Ewigkeit sein sollen. Dies letztere zwar bleibt ihr unerreichbar. Aber es ist auch etwas, eben dies zu erkennen, sich klar zu machen, dass es ein un- endlicher Prozess der Erkenntnis ist, auf den die Frage nach der Thatsache führt. Thatsachenbestimmungen sind in jedem Fall nur Näherungswerte; absolute Thatsachen gäbe es nur
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schlechthin sagen, dass wir die Thatsache erkannt haben; denn
keine einzige der Bestimmungen, nach denen wir sie erkannt
zu haben meinen, kann absolut gelten, weder die der Zahl
noch der Grösse, der Zeit, des Orts, der Qualität u. s. f.
Wieviel auch an ihr bestimmt, nämlich hypothetisch bestimmt
ist, immer bleibt noch irgendwelche Unbestimmtheit zurück;
die Thatsache bleibt immer das X der Erkenntnis. Und dies
X hat man zur bekannten Grösse, dies Letzte zum Ersten
gemacht. Warum? Weil freilich die gesetzliche Notwendigkeit
dieser Determination der Thatsache a priori erkannt werden
kann. Man nimmt im Begriff des Gegebenen der Wahrnehmung
eben das voraus, was als letztes Ergebnis der Erkenntnis heraus-
kommen soll. Die Wissenschaft fühlt dies, indem sie alle ihre,
noch so sehr auf Thatsachen gestützten allgemeinen Sätze,
und erst recht alle bloss thatsächlichen Aufstellungen lediglich
als Hypothesen giebt. Hat man selbst den euklidischen Raum,
den wir so sicher thatsächlich wahrzunehmen glauben, der eine
so unleugbare Voraussetzung unserer vermeintlich thatsäch-
lichsten Wahrnehmungen ist, für Hypothese erklären können,
wie viel mehr alles, was nicht bloss unter dieser, sondern
unter zahlreichen weiteren, meist ungeprüften, kaum überhaupt
bewussten Voraussetzungen als Thatsache, durch Wahrnehmung
gegeben, geglaubt wird. Der sichere Glaube der gemeinen
Erkenntnis, die auf Thatsachen bei jedem Schritt zu fussen
und sie mit Händen zu packen meint, ist wahrlich nicht ein
Beweis grösserer, sondern unvergleichlich geringerer objektiver
Sicherheit dieser Erkenntnis. Man ist so bald am Ziel, weil
man sich das Ziel so gar nahe gesteckt hat; weil man zufrieden
ist mit Thatsachen, die es schon morgen, ja im nächsten Augen-
blick nicht mehr sind; während Wissenschaft den Ehrgeiz hat,
solche Thatsachen zu erreichen, die es noch morgen und über-
morgen, womöglich aber in alle Ewigkeit sein sollen. Dies
letztere zwar bleibt ihr unerreichbar. Aber es ist auch etwas,
eben dies zu erkennen, sich klar zu machen, dass es ein un-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/46>, abgerufen am 24.11.2024.
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