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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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baren näheren Bestimmung der Unendlichkeit, Absolutheit? Woher
anders könnte uns wohl irgend ein Inhalt des Begriffs des
Göttlichen kommen als aus uns selber? Wie nach alter Lehre
alle "Offenbarung" Gottes an den Menschen die Sprache des
Menschen redet, um doch von Menschen verstanden zu werden
-- weshalb man sich auch an dieser menschlichen Sprache
nicht stossen dürfe --, so muss ja all ihr Sinn menschlich
sein, da er nur dadurch Menschen verständlich und von
irgend welcher auch nur subjektiven Wahrheit für Menschen sein
kann, dass es menschlicher Sinn ist. Sie macht Gott zum
Vater, zum Bruder, zum Richter, Gesetzgeber und Kriegsherrn,
schliesslich zum höchsten Walter des Wissens, zum grössten
Geometer und Naturkündiger, zum vollkommenen Künstler --
kurz, das ganze Universum des Menschentums muss dienen,
die Idee des Göttlichen aufzuerbauen. Wodurch anders sollte
der Mensch zu dieser Potenzierung seines eigenen Wesens
in der Idee des Göttlichen wohl geführt werden, als da-
durch, dass eben dies Universum seines Innern ihm ahnend
bewusst wird, und in dieser Ahnung er sich getrieben fühlt,
an sein eigenes, reinstes Ideal sich mit vollem ungehemmtem
Gefühl hinzugeben? Somit ist die religiöse Vorstellung un-
verwerflich als Gefühlshalt, auf höchster Stufe als Symbol,
nämlich im künstlerischen Sinne des "aufrichtigen Scheins",
nicht aber der Behauptung der wirklichen Gegenwart des Un-
endlichen in dem doch immer sterblichen Leibe der Vorstel-
lung. Wir glauben nicht, dass bei voller Klarheit der Selbst-
besinnung dieser Stufe der Reinigung der Religion ehrlicher-
weise mehr ausgewichen werden kann. Man kann wohl in
Einzelrichtungen wissenschaftlich forschen, aber man kann nicht
philosophieren, d. i. Wissenschaft treiben mit reinem Bewusst-
sein dessen, was man thut, ohne diese Konsequenz.

Noch weit schwerer wird wohl manchen die zweite Forde-
rung bedünken, die sich auf das sittliche Verhalten des
religiösen Menschen bezieht. Auch dieses kann für das er-
wachte kritische Gewissen nicht unverändert das bleiben, was
es war. Der Anspruch des unmittelbaren Ergreifens des sitt-
lichen Heils, diese so emporhebende, so weltüberwindende Ueber-

baren näheren Bestimmung der Unendlichkeit, Absolutheit? Woher
anders könnte uns wohl irgend ein Inhalt des Begriffs des
Göttlichen kommen als aus uns selber? Wie nach alter Lehre
alle „Offenbarung“ Gottes an den Menschen die Sprache des
Menschen redet, um doch von Menschen verstanden zu werden
— weshalb man sich auch an dieser menschlichen Sprache
nicht stossen dürfe —, so muss ja all ihr Sinn menschlich
sein, da er nur dadurch Menschen verständlich und von
irgend welcher auch nur subjektiven Wahrheit für Menschen sein
kann, dass es menschlicher Sinn ist. Sie macht Gott zum
Vater, zum Bruder, zum Richter, Gesetzgeber und Kriegsherrn,
schliesslich zum höchsten Walter des Wissens, zum grössten
Geometer und Naturkündiger, zum vollkommenen Künstler —
kurz, das ganze Universum des Menschentums muss dienen,
die Idee des Göttlichen aufzuerbauen. Wodurch anders sollte
der Mensch zu dieser Potenzierung seines eigenen Wesens
in der Idee des Göttlichen wohl geführt werden, als da-
durch, dass eben dies Universum seines Innern ihm ahnend
bewusst wird, und in dieser Ahnung er sich getrieben fühlt,
an sein eigenes, reinstes Ideal sich mit vollem ungehemmtem
Gefühl hinzugeben? Somit ist die religiöse Vorstellung un-
verwerflich als Gefühlshalt, auf höchster Stufe als Symbol,
nämlich im künstlerischen Sinne des „aufrichtigen Scheins“,
nicht aber der Behauptung der wirklichen Gegenwart des Un-
endlichen in dem doch immer sterblichen Leibe der Vorstel-
lung. Wir glauben nicht, dass bei voller Klarheit der Selbst-
besinnung dieser Stufe der Reinigung der Religion ehrlicher-
weise mehr ausgewichen werden kann. Man kann wohl in
Einzelrichtungen wissenschaftlich forschen, aber man kann nicht
philosophieren, d. i. Wissenschaft treiben mit reinem Bewusst-
sein dessen, was man thut, ohne diese Konsequenz.

Noch weit schwerer wird wohl manchen die zweite Forde-
rung bedünken, die sich auf das sittliche Verhalten des
religiösen Menschen bezieht. Auch dieses kann für das er-
wachte kritische Gewissen nicht unverändert das bleiben, was
es war. Der Anspruch des unmittelbaren Ergreifens des sitt-
lichen Heils, diese so emporhebende, so weltüberwindende Ueber-

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[338/0354] baren näheren Bestimmung der Unendlichkeit, Absolutheit? Woher anders könnte uns wohl irgend ein Inhalt des Begriffs des Göttlichen kommen als aus uns selber? Wie nach alter Lehre alle „Offenbarung“ Gottes an den Menschen die Sprache des Menschen redet, um doch von Menschen verstanden zu werden — weshalb man sich auch an dieser menschlichen Sprache nicht stossen dürfe —, so muss ja all ihr Sinn menschlich sein, da er nur dadurch Menschen verständlich und von irgend welcher auch nur subjektiven Wahrheit für Menschen sein kann, dass es menschlicher Sinn ist. Sie macht Gott zum Vater, zum Bruder, zum Richter, Gesetzgeber und Kriegsherrn, schliesslich zum höchsten Walter des Wissens, zum grössten Geometer und Naturkündiger, zum vollkommenen Künstler — kurz, das ganze Universum des Menschentums muss dienen, die Idee des Göttlichen aufzuerbauen. Wodurch anders sollte der Mensch zu dieser Potenzierung seines eigenen Wesens in der Idee des Göttlichen wohl geführt werden, als da- durch, dass eben dies Universum seines Innern ihm ahnend bewusst wird, und in dieser Ahnung er sich getrieben fühlt, an sein eigenes, reinstes Ideal sich mit vollem ungehemmtem Gefühl hinzugeben? Somit ist die religiöse Vorstellung un- verwerflich als Gefühlshalt, auf höchster Stufe als Symbol, nämlich im künstlerischen Sinne des „aufrichtigen Scheins“, nicht aber der Behauptung der wirklichen Gegenwart des Un- endlichen in dem doch immer sterblichen Leibe der Vorstel- lung. Wir glauben nicht, dass bei voller Klarheit der Selbst- besinnung dieser Stufe der Reinigung der Religion ehrlicher- weise mehr ausgewichen werden kann. Man kann wohl in Einzelrichtungen wissenschaftlich forschen, aber man kann nicht philosophieren, d. i. Wissenschaft treiben mit reinem Bewusst- sein dessen, was man thut, ohne diese Konsequenz. Noch weit schwerer wird wohl manchen die zweite Forde- rung bedünken, die sich auf das sittliche Verhalten des religiösen Menschen bezieht. Auch dieses kann für das er- wachte kritische Gewissen nicht unverändert das bleiben, was es war. Der Anspruch des unmittelbaren Ergreifens des sitt- lichen Heils, diese so emporhebende, so weltüberwindende Ueber-

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/354>, abgerufen am 29.11.2024.