Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Richtung wirken, und so von früh an ein Sinn und Verständnis
der Volksgemeinschaft im Leben des Zöglings selbst und allem,
was vom Leben des Volks ihm nach und nach auffassbar wird,
sich gründen, auf den dann der Geschichtsunterricht ohne
weiteres rechnen und daraus seine beste Kraft ziehen würde. Seine
eigentümliche Leistung übrigens bliebe auch dann, dem Er-
lebnis den Begriff hinzuzufügen und ihm dadurch eine noch
dauerndere und allgemeinere Wirkung, die auch störenden
Gegeneinflüssen gegenüber standhält, zu sichern. Diese Wirkung
ist nun begreiflich; aber sie ist es nicht ebenso ohne die ge-
nannten Voraussetzungen.

Welches sind denn nun die zu erarbeitenden Begriffe? Es
können nur sein die Grundbegriffe der Soziologie; die Begriffe,
welche die beiden grossen Gebiete der Wirtschaft und des
Rechts beherrschen; weiterhin die Begriffe der höheren, geistigen
Kultur. Die allgemeine pädagogische Forderung, den Unter-
richt an Erfahrung, die praktische Lehre insbesondere an die
praktische Erfahrung, an die "Uebung" anzuschliessen und
auf ihr sich aufbauen zu lassen, wäre unter den gedachten
Voraussetzungen erfüllt. Der erste Grund wäre gelegt in der
Familiengemeinschaft, in der Schulgemeinschaft, und in allem,
was von der bürgerlichen Gemeinschaft schon dem Heran-
wachsenden unmittelbar nahe tritt oder doch so bevorsteht,
dass er nicht wohl umhin kann sein Interesse schon voraus
darauf zu lenken; dahin gehört besonders der Waffendienst.
Weiter kommt es dann an auf die Erweiterung des so zuerst
gegründeten Erfahrungskreises gleichsam in die Breite, näm-
lich von engeren zu weiteren und weiteren Formen der Gemein-
schaft, und dann in die Tiefe der Vergangenheit zurück. Das
erste führt auf Soziologie im engeren und eigentlichen Sinne,
das zweite auf Geschichte selbst; deren keines aber ohne das
andre bestehen kann. Denn Soziologie ist nicht rein rational,
sondern auf historischem Grunde konkret zu entwickeln; um-
gekehrt bedarf Geschichte, wenn überhaupt etwas dabei ver-
standen werden soll, klarer Begriffe des Objekts, nach
dessen Geschichte die Frage ist
, nämlich der mancherlei
Richtungen und Besonderungen jener Art von Gemeinschaft,

Richtung wirken, und so von früh an ein Sinn und Verständnis
der Volksgemeinschaft im Leben des Zöglings selbst und allem,
was vom Leben des Volks ihm nach und nach auffassbar wird,
sich gründen, auf den dann der Geschichtsunterricht ohne
weiteres rechnen und daraus seine beste Kraft ziehen würde. Seine
eigentümliche Leistung übrigens bliebe auch dann, dem Er-
lebnis den Begriff hinzuzufügen und ihm dadurch eine noch
dauerndere und allgemeinere Wirkung, die auch störenden
Gegeneinflüssen gegenüber standhält, zu sichern. Diese Wirkung
ist nun begreiflich; aber sie ist es nicht ebenso ohne die ge-
nannten Voraussetzungen.

Welches sind denn nun die zu erarbeitenden Begriffe? Es
können nur sein die Grundbegriffe der Soziologie; die Begriffe,
welche die beiden grossen Gebiete der Wirtschaft und des
Rechts beherrschen; weiterhin die Begriffe der höheren, geistigen
Kultur. Die allgemeine pädagogische Forderung, den Unter-
richt an Erfahrung, die praktische Lehre insbesondere an die
praktische Erfahrung, an die „Uebung“ anzuschliessen und
auf ihr sich aufbauen zu lassen, wäre unter den gedachten
Voraussetzungen erfüllt. Der erste Grund wäre gelegt in der
Familiengemeinschaft, in der Schulgemeinschaft, und in allem,
was von der bürgerlichen Gemeinschaft schon dem Heran-
wachsenden unmittelbar nahe tritt oder doch so bevorsteht,
dass er nicht wohl umhin kann sein Interesse schon voraus
darauf zu lenken; dahin gehört besonders der Waffendienst.
Weiter kommt es dann an auf die Erweiterung des so zuerst
gegründeten Erfahrungskreises gleichsam in die Breite, näm-
lich von engeren zu weiteren und weiteren Formen der Gemein-
schaft, und dann in die Tiefe der Vergangenheit zurück. Das
erste führt auf Soziologie im engeren und eigentlichen Sinne,
das zweite auf Geschichte selbst; deren keines aber ohne das
andre bestehen kann. Denn Soziologie ist nicht rein rational,
sondern auf historischem Grunde konkret zu entwickeln; um-
gekehrt bedarf Geschichte, wenn überhaupt etwas dabei ver-
standen werden soll, klarer Begriffe des Objekts, nach
dessen Geschichte die Frage ist
, nämlich der mancherlei
Richtungen und Besonderungen jener Art von Gemeinschaft,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0310" n="294"/>
Richtung wirken, und so von früh an <hi rendition="#g">ein</hi> Sinn und Verständnis<lb/>
der Volksgemeinschaft im Leben des Zöglings selbst und allem,<lb/>
was vom Leben des Volks ihm nach und nach auffassbar wird,<lb/>
sich gründen, auf den dann der Geschichtsunterricht ohne<lb/>
weiteres rechnen und daraus seine beste Kraft ziehen würde. Seine<lb/><hi rendition="#g">eigentümliche</hi> Leistung übrigens bliebe auch dann, dem Er-<lb/>
lebnis den <hi rendition="#g">Begriff</hi> hinzuzufügen und ihm dadurch eine noch<lb/>
dauerndere und allgemeinere Wirkung, die auch störenden<lb/>
Gegeneinflüssen gegenüber standhält, zu sichern. Diese Wirkung<lb/>
ist <hi rendition="#g">nun</hi> begreiflich; aber sie ist es nicht ebenso ohne die ge-<lb/>
nannten Voraussetzungen.</p><lb/>
          <p>Welches sind denn nun die zu erarbeitenden Begriffe? Es<lb/>
können nur sein die Grundbegriffe der Soziologie; die Begriffe,<lb/>
welche die beiden grossen Gebiete der <hi rendition="#g">Wirtschaft</hi> und des<lb/><hi rendition="#g">Rechts</hi> beherrschen; weiterhin die Begriffe der höheren, geistigen<lb/><hi rendition="#g">Kultur</hi>. Die allgemeine pädagogische Forderung, den Unter-<lb/>
richt an Erfahrung, die praktische Lehre insbesondere an die<lb/>
praktische Erfahrung, an die &#x201E;Uebung&#x201C; anzuschliessen und<lb/>
auf ihr sich aufbauen zu lassen, wäre unter den gedachten<lb/>
Voraussetzungen erfüllt. Der erste Grund wäre gelegt in der<lb/>
Familiengemeinschaft, in der Schulgemeinschaft, und in allem,<lb/>
was von der bürgerlichen Gemeinschaft schon dem Heran-<lb/>
wachsenden unmittelbar nahe tritt oder doch so bevorsteht,<lb/>
dass er nicht wohl umhin kann sein Interesse schon voraus<lb/>
darauf zu lenken; dahin gehört besonders der Waffendienst.<lb/>
Weiter kommt es dann an auf die Erweiterung des so zuerst<lb/>
gegründeten Erfahrungskreises gleichsam in die Breite, näm-<lb/>
lich von engeren zu weiteren und weiteren Formen der Gemein-<lb/>
schaft, und dann in die Tiefe der Vergangenheit zurück. Das<lb/>
erste führt auf Soziologie im engeren und eigentlichen Sinne,<lb/>
das zweite auf Geschichte selbst; deren keines aber ohne das<lb/>
andre bestehen kann. Denn Soziologie ist nicht rein rational,<lb/>
sondern auf historischem Grunde konkret zu entwickeln; um-<lb/>
gekehrt bedarf Geschichte, wenn überhaupt etwas dabei ver-<lb/>
standen werden soll, klarer Begriffe <hi rendition="#g">des Objekts, nach<lb/>
dessen Geschichte die Frage ist</hi>, nämlich der mancherlei<lb/>
Richtungen und Besonderungen jener Art von Gemeinschaft,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0310] Richtung wirken, und so von früh an ein Sinn und Verständnis der Volksgemeinschaft im Leben des Zöglings selbst und allem, was vom Leben des Volks ihm nach und nach auffassbar wird, sich gründen, auf den dann der Geschichtsunterricht ohne weiteres rechnen und daraus seine beste Kraft ziehen würde. Seine eigentümliche Leistung übrigens bliebe auch dann, dem Er- lebnis den Begriff hinzuzufügen und ihm dadurch eine noch dauerndere und allgemeinere Wirkung, die auch störenden Gegeneinflüssen gegenüber standhält, zu sichern. Diese Wirkung ist nun begreiflich; aber sie ist es nicht ebenso ohne die ge- nannten Voraussetzungen. Welches sind denn nun die zu erarbeitenden Begriffe? Es können nur sein die Grundbegriffe der Soziologie; die Begriffe, welche die beiden grossen Gebiete der Wirtschaft und des Rechts beherrschen; weiterhin die Begriffe der höheren, geistigen Kultur. Die allgemeine pädagogische Forderung, den Unter- richt an Erfahrung, die praktische Lehre insbesondere an die praktische Erfahrung, an die „Uebung“ anzuschliessen und auf ihr sich aufbauen zu lassen, wäre unter den gedachten Voraussetzungen erfüllt. Der erste Grund wäre gelegt in der Familiengemeinschaft, in der Schulgemeinschaft, und in allem, was von der bürgerlichen Gemeinschaft schon dem Heran- wachsenden unmittelbar nahe tritt oder doch so bevorsteht, dass er nicht wohl umhin kann sein Interesse schon voraus darauf zu lenken; dahin gehört besonders der Waffendienst. Weiter kommt es dann an auf die Erweiterung des so zuerst gegründeten Erfahrungskreises gleichsam in die Breite, näm- lich von engeren zu weiteren und weiteren Formen der Gemein- schaft, und dann in die Tiefe der Vergangenheit zurück. Das erste führt auf Soziologie im engeren und eigentlichen Sinne, das zweite auf Geschichte selbst; deren keines aber ohne das andre bestehen kann. Denn Soziologie ist nicht rein rational, sondern auf historischem Grunde konkret zu entwickeln; um- gekehrt bedarf Geschichte, wenn überhaupt etwas dabei ver- standen werden soll, klarer Begriffe des Objekts, nach dessen Geschichte die Frage ist, nämlich der mancherlei Richtungen und Besonderungen jener Art von Gemeinschaft,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/310
Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/310>, abgerufen am 11.05.2024.