ung, was hierüber an früheren Stellen (§ 20 und 26) schon zu sagen war und jetzt nicht wiederholt zu werden braucht. Im besondern sei nur erinnert an das genaue Ineinandergreifen der Entwicklung der Muskel- und Sinnesthätigkeit, wodurch ja die engste Verbindung zwischen Erkenntnis und auf unmittelbare Bethätigung gerichtetem Trieb sich vom ersten Anfang an knüpfen muss.
Zum Glück ist die kindliche Bildung in diesem allen ver- gleichsweise wenig auf planmässige Unterstützung von aussen angewiesen. Das Planmässige der Erziehung auf dieser Stufe kann allein bestehen in sorgsamer Körperpflege und Fernhal- tung alles Hemmenden; wozu nicht am wenigsten die Versuche einer künstlichen Beschleunigung oder Vorwegnahme des gei- stigen Fortschritts gehören. Das aber ergiebt sich von selbst bei einigermaassen verständnisvollem Entgegenkommen der ganzen Umgebung und liebevollem Anschmiegen ihres Verhaltens gegen das Kind an dessen eigenen gesunden Trieb; was keines ge- lehrten Studiums, aber desto mehr der eigenen seelischen Ge- sundheit, natürlichen Frische und Kindlichkeit dieser Umgebung bedarf. Daraus versteht sich, dass die pädagogische Reflexion sich von jeher wenig, in der That zu wenig, mit dieser ersten, und fast ausschliesslich mit der zweiten Stufe der Intellekt- bildung, der des eigentlichen, organisierten Unterrichts, beschäftigt hat. Diese bedarf auch für uns umso mehr einer eingehenden Behandlung, als gerade auf diesem Gebiet die zentrale Frage des Verhältnisses der Intellektbildung zur Willensbildung zu Streitigkeiten geführt hat, an denen wir schon wegen ihrer grossen praktischen Tragweite nicht vorbei- gehen dürfen; die übrigens auch des theoretischen Interesses keineswegs ermangeln. Es sind die Fragen, die sich an den Begriff der Herbartianer vom "Gesinnungsunterricht" und be- sonders an ihre Ansicht vom gesinnungbildenden Wert der Geschichte knüpfen.
ung, was hierüber an früheren Stellen (§ 20 und 26) schon zu sagen war und jetzt nicht wiederholt zu werden braucht. Im besondern sei nur erinnert an das genaue Ineinandergreifen der Entwicklung der Muskel- und Sinnesthätigkeit, wodurch ja die engste Verbindung zwischen Erkenntnis und auf unmittelbare Bethätigung gerichtetem Trieb sich vom ersten Anfang an knüpfen muss.
Zum Glück ist die kindliche Bildung in diesem allen ver- gleichsweise wenig auf planmässige Unterstützung von aussen angewiesen. Das Planmässige der Erziehung auf dieser Stufe kann allein bestehen in sorgsamer Körperpflege und Fernhal- tung alles Hemmenden; wozu nicht am wenigsten die Versuche einer künstlichen Beschleunigung oder Vorwegnahme des gei- stigen Fortschritts gehören. Das aber ergiebt sich von selbst bei einigermaassen verständnisvollem Entgegenkommen der ganzen Umgebung und liebevollem Anschmiegen ihres Verhaltens gegen das Kind an dessen eigenen gesunden Trieb; was keines ge- lehrten Studiums, aber desto mehr der eigenen seelischen Ge- sundheit, natürlichen Frische und Kindlichkeit dieser Umgebung bedarf. Daraus versteht sich, dass die pädagogische Reflexion sich von jeher wenig, in der That zu wenig, mit dieser ersten, und fast ausschliesslich mit der zweiten Stufe der Intellekt- bildung, der des eigentlichen, organisierten Unterrichts, beschäftigt hat. Diese bedarf auch für uns umso mehr einer eingehenden Behandlung, als gerade auf diesem Gebiet die zentrale Frage des Verhältnisses der Intellektbildung zur Willensbildung zu Streitigkeiten geführt hat, an denen wir schon wegen ihrer grossen praktischen Tragweite nicht vorbei- gehen dürfen; die übrigens auch des theoretischen Interesses keineswegs ermangeln. Es sind die Fragen, die sich an den Begriff der Herbartianer vom „Gesinnungsunterricht“ und be- sonders an ihre Ansicht vom gesinnungbildenden Wert der Geschichte knüpfen.
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ung, was hierüber an früheren Stellen (§ 20 und 26) schon zu
sagen war und jetzt nicht wiederholt zu werden braucht. Im
besondern sei nur erinnert an das genaue Ineinandergreifen der
Entwicklung der Muskel- und Sinnesthätigkeit, wodurch ja die
engste Verbindung zwischen Erkenntnis und auf unmittelbare
Bethätigung gerichtetem Trieb sich vom ersten Anfang an
knüpfen muss.
Zum Glück ist die kindliche Bildung in diesem allen ver-
gleichsweise wenig auf planmässige Unterstützung von aussen
angewiesen. Das Planmässige der Erziehung auf dieser Stufe
kann allein bestehen in sorgsamer Körperpflege und Fernhal-
tung alles Hemmenden; wozu nicht am wenigsten die Versuche
einer künstlichen Beschleunigung oder Vorwegnahme des gei-
stigen Fortschritts gehören. Das aber ergiebt sich von selbst
bei einigermaassen verständnisvollem Entgegenkommen der ganzen
Umgebung und liebevollem Anschmiegen ihres Verhaltens gegen
das Kind an dessen eigenen gesunden Trieb; was keines ge-
lehrten Studiums, aber desto mehr der eigenen seelischen Ge-
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bedarf. Daraus versteht sich, dass die pädagogische Reflexion
sich von jeher wenig, in der That zu wenig, mit dieser ersten,
und fast ausschliesslich mit der zweiten Stufe der Intellekt-
bildung, der des eigentlichen, organisierten Unterrichts,
beschäftigt hat. Diese bedarf auch für uns umso mehr einer
eingehenden Behandlung, als gerade auf diesem Gebiet die
zentrale Frage des Verhältnisses der Intellektbildung zur
Willensbildung zu Streitigkeiten geführt hat, an denen wir
schon wegen ihrer grossen praktischen Tragweite nicht vorbei-
gehen dürfen; die übrigens auch des theoretischen Interesses
keineswegs ermangeln. Es sind die Fragen, die sich an den
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sonders an ihre Ansicht vom gesinnungbildenden Wert der
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/297>, abgerufen am 21.11.2024.
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