ausgedrückt sind, verstehen und anwenden lernen, wie es auch nur vom Zeitverhältnis anders als auf die eben erklärte Weise, rekonstruierend, was es zuvor konstruiert hatte, auch nur die schlichtesten Begriffe gewinnen konnte. Mit der Berufung auf die Erfahrung ist hier überall nichts gethan; man setzt dabei nur das, nach dessen Erklärung gefragt wird, auf fast beliebiger Stufe als plötzlich gegeben voraus. Man sagt im Grunde nur (wie in Lockes Kritik des "Angeborenen" so auffallend ist): es musste doch irgend einmal zuerst da sein, da ja anfangs nichts davon vorhanden war. Ganz gewiss war es irgend einmal zuerst da; und vielleicht plötzlich genug sprang es wie aus dem Nichts hervor. Allein wir fragen: wie konnte es auf einmal da sein, eben da zu An- fang nichts davon da war, sondern alles bis aufs letzte erst errungen werden musste? Wie ist diese ganze Errungenschaft zu verstehen, wenn nicht aus irgend welchen schlechthin primitiven Anfängen, nicht Gegebenheiten, aktuellen oder potenziellen, sondern elementaren, gesetzmässigen Verfah- rungsweisen, überhaupt Etwas zu setzen, als eines, grades, gleiches u. s. f.? Das ist es, was Pestalozzi bei seinen "Ele- menten" vorschwebte, und was in der That den elementaren Erwerb menschlicher Erkenntnis, vollends jeden abgeleiteteren, allein verständlich macht.
Genau so viel aber, sagen wir nun weiter, als hierbei Selbstthätigkeit des sich bildenden Geistes oder in ihm selbst sich durchringende Form ist, genau so viel ist auch Sieg des Willens, mithin zugleich Fortschritt auf der Bahn seiner Entwicklung. Dass es der Wille zunächst in der Elementarform des sinnlichen Triebes ist, was sich so ent- wickelt, ist nur, was wir erwarten müssen. Nach allem aber, was über das Verhältnis des Triebes zum Willen und Ver- nunftwillen seines Ortes festgestellt worden, ändert dies nichts an der Richtigkeit unsrer These. Und so meinen wir nun zu begreifen, inwiefern schon die Entwicklung des Trieblebens mit der Bildung der sinnlichen Vorstellungen Hand in Hand gehen und unter gesunder Leitung in einer Richtung mit ihr sich vereinen muss. Hier findet denn alles das seine Anknüpf-
ausgedrückt sind, verstehen und anwenden lernen, wie es auch nur vom Zeitverhältnis anders als auf die eben erklärte Weise, rekonstruierend, was es zuvor konstruiert hatte, auch nur die schlichtesten Begriffe gewinnen konnte. Mit der Berufung auf die Erfahrung ist hier überall nichts gethan; man setzt dabei nur das, nach dessen Erklärung gefragt wird, auf fast beliebiger Stufe als plötzlich gegeben voraus. Man sagt im Grunde nur (wie in Lockes Kritik des „Angeborenen“ so auffallend ist): es musste doch irgend einmal zuerst da sein, da ja anfangs nichts davon vorhanden war. Ganz gewiss war es irgend einmal zuerst da; und vielleicht plötzlich genug sprang es wie aus dem Nichts hervor. Allein wir fragen: wie konnte es auf einmal da sein, eben da zu An- fang nichts davon da war, sondern alles bis aufs letzte erst errungen werden musste? Wie ist diese ganze Errungenschaft zu verstehen, wenn nicht aus irgend welchen schlechthin primitiven Anfängen, nicht Gegebenheiten, aktuellen oder potenziellen, sondern elementaren, gesetzmässigen Verfah- rungsweisen, überhaupt Etwas zu setzen, als eines, grades, gleiches u. s. f.? Das ist es, was Pestalozzi bei seinen „Ele- menten“ vorschwebte, und was in der That den elementaren Erwerb menschlicher Erkenntnis, vollends jeden abgeleiteteren, allein verständlich macht.
Genau so viel aber, sagen wir nun weiter, als hierbei Selbstthätigkeit des sich bildenden Geistes oder in ihm selbst sich durchringende Form ist, genau so viel ist auch Sieg des Willens, mithin zugleich Fortschritt auf der Bahn seiner Entwicklung. Dass es der Wille zunächst in der Elementarform des sinnlichen Triebes ist, was sich so ent- wickelt, ist nur, was wir erwarten müssen. Nach allem aber, was über das Verhältnis des Triebes zum Willen und Ver- nunftwillen seines Ortes festgestellt worden, ändert dies nichts an der Richtigkeit unsrer These. Und so meinen wir nun zu begreifen, inwiefern schon die Entwicklung des Trieblebens mit der Bildung der sinnlichen Vorstellungen Hand in Hand gehen und unter gesunder Leitung in einer Richtung mit ihr sich vereinen muss. Hier findet denn alles das seine Anknüpf-
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ausgedrückt sind, verstehen und anwenden lernen, wie es auch
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rekonstruierend, was es zuvor konstruiert hatte,
auch nur die schlichtesten Begriffe gewinnen konnte. Mit der
Berufung auf die Erfahrung ist hier überall nichts gethan;
man setzt dabei nur das, nach dessen Erklärung gefragt wird,
auf fast beliebiger Stufe als plötzlich gegeben voraus. Man
sagt im Grunde nur (wie in Lockes Kritik des „Angeborenen“
so auffallend ist): es musste doch irgend einmal zuerst
da sein, da ja anfangs nichts davon vorhanden war.
Ganz gewiss war es irgend einmal zuerst da; und vielleicht
plötzlich genug sprang es wie aus dem Nichts hervor. Allein
wir fragen: wie konnte es auf einmal da sein, eben da zu An-
fang nichts davon da war, sondern alles bis aufs letzte erst
errungen werden musste? Wie ist diese ganze Errungenschaft
zu verstehen, wenn nicht aus irgend welchen schlechthin
primitiven Anfängen, nicht Gegebenheiten, aktuellen oder
potenziellen, sondern elementaren, gesetzmässigen Verfah-
rungsweisen, überhaupt Etwas zu setzen, als eines, grades,
gleiches u. s. f.? Das ist es, was Pestalozzi bei seinen „Ele-
menten“ vorschwebte, und was in der That den elementaren
Erwerb menschlicher Erkenntnis, vollends jeden abgeleiteteren,
allein verständlich macht.
Genau so viel aber, sagen wir nun weiter, als hierbei
Selbstthätigkeit des sich bildenden Geistes oder in
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auch Sieg des Willens, mithin zugleich Fortschritt auf der
Bahn seiner Entwicklung. Dass es der Wille zunächst in
der Elementarform des sinnlichen Triebes ist, was sich so ent-
wickelt, ist nur, was wir erwarten müssen. Nach allem aber,
was über das Verhältnis des Triebes zum Willen und Ver-
nunftwillen seines Ortes festgestellt worden, ändert dies nichts
an der Richtigkeit unsrer These. Und so meinen wir nun zu
begreifen, inwiefern schon die Entwicklung des Trieblebens
mit der Bildung der sinnlichen Vorstellungen Hand in Hand
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/296>, abgerufen am 21.11.2024.
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