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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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So mag eine rechte sittliche Hauserziehung sich gestalten.
Die gleichen Kräfte wirken aber weit über die früheste Kind-
heit, ja über die Familie im engsten Sinn hinaus; sie bleiben
grundlegend für die ganze Erziehung des Willens, deren sonstige
Faktoren ohne diesen ersten niemals ihre volle Wirksamkeit
entfalten könnten. In keinem menschlichen Verhältnis darf
dies Element ganz fehlen, und in seiner Kräftigung liegt, wie
wir mit Pestalozzi überzeugt sind, zuletzt alle Hoffnung
einer Versittlichung menschlicher Gemeinschaft überhaupt. Ich
möchte dem Irrglauben zwar nicht Vorschub thun, dass Un-
sittlichkeit nur Krankheit sei, aber das Wahre ist daran, dass
die sittliche Gesundung von unten auf, von der Grundlage des
Trieblebens, folglich von der Sorge um Kraft und Reinheit
familienhafter Gemeinschaft ihren Ausgang nehmen muss; dass
alle Sittenpredigt verschwendet ist, ja dem sittlichen Tadel
jedes Erntenwollens, wo man nicht gesät hat, unterliegt, welche
für diese allererste Bedingung sittlicher Bildung zu sorgen
vergisst. Von der Wiederherstellung des Bewusstseins der
Arbeitsgemeinschaft, von der Heiligung der Arbeit und des
Genusses durch die Gemeinschaft, durch ihre Aufnahme in den
Plan der Erziehung zum Menschentum, erwarten wir die Heilung
unsrer privaten und öffentlichen Zustände. Vor allem, man
kümmere sich darum, wie Menschen leben, welche Be-
dingungen ihnen gewährt sind, um ein Leben führen zu können,
wie man es von ihnen fordert und erwartet. Man fasse das
Problem "sozialer Ökonomie" einmal ernsthaft in diesem sitt-
lichen, oder sagen wir pädagogischen Sinn: dass von der Öko-
nomie der Lebensfunktionen in der Gemeinschaft alle sozialen
Funktionen bis zu den höchsten hinauf schliesslich abhängen,
und dass diese Ökonomie nur auf Grund der Gemeinschaft,
nach dem allgemeinen Typus einer sittlich geordneten Familie,
sich wirksam und rein gestalten kann. Das führt auf organi-
satorische Forderungen, wie sie an früherer Stelle angedeutet
wurden. Ich vermeine nicht darüber irgend Abschliessendes
aufgestellt zu haben; wenn es am Willen nicht fehlte, würden
auch die Wege sich wohl erschliessen. Keinesfalls darf man
uns hier auf eine voraus erwartete, wie mechanische Lösung

So mag eine rechte sittliche Hauserziehung sich gestalten.
Die gleichen Kräfte wirken aber weit über die früheste Kind-
heit, ja über die Familie im engsten Sinn hinaus; sie bleiben
grundlegend für die ganze Erziehung des Willens, deren sonstige
Faktoren ohne diesen ersten niemals ihre volle Wirksamkeit
entfalten könnten. In keinem menschlichen Verhältnis darf
dies Element ganz fehlen, und in seiner Kräftigung liegt, wie
wir mit Pestalozzi überzeugt sind, zuletzt alle Hoffnung
einer Versittlichung menschlicher Gemeinschaft überhaupt. Ich
möchte dem Irrglauben zwar nicht Vorschub thun, dass Un-
sittlichkeit nur Krankheit sei, aber das Wahre ist daran, dass
die sittliche Gesundung von unten auf, von der Grundlage des
Trieblebens, folglich von der Sorge um Kraft und Reinheit
familienhafter Gemeinschaft ihren Ausgang nehmen muss; dass
alle Sittenpredigt verschwendet ist, ja dem sittlichen Tadel
jedes Erntenwollens, wo man nicht gesät hat, unterliegt, welche
für diese allererste Bedingung sittlicher Bildung zu sorgen
vergisst. Von der Wiederherstellung des Bewusstseins der
Arbeitsgemeinschaft, von der Heiligung der Arbeit und des
Genusses durch die Gemeinschaft, durch ihre Aufnahme in den
Plan der Erziehung zum Menschentum, erwarten wir die Heilung
unsrer privaten und öffentlichen Zustände. Vor allem, man
kümmere sich darum, wie Menschen leben, welche Be-
dingungen ihnen gewährt sind, um ein Leben führen zu können,
wie man es von ihnen fordert und erwartet. Man fasse das
Problem „sozialer Ökonomie“ einmal ernsthaft in diesem sitt-
lichen, oder sagen wir pädagogischen Sinn: dass von der Öko-
nomie der Lebensfunktionen in der Gemeinschaft alle sozialen
Funktionen bis zu den höchsten hinauf schliesslich abhängen,
und dass diese Ökonomie nur auf Grund der Gemeinschaft,
nach dem allgemeinen Typus einer sittlich geordneten Familie,
sich wirksam und rein gestalten kann. Das führt auf organi-
satorische Forderungen, wie sie an früherer Stelle angedeutet
wurden. Ich vermeine nicht darüber irgend Abschliessendes
aufgestellt zu haben; wenn es am Willen nicht fehlte, würden
auch die Wege sich wohl erschliessen. Keinesfalls darf man
uns hier auf eine voraus erwartete, wie mechanische Lösung

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[251/0267] So mag eine rechte sittliche Hauserziehung sich gestalten. Die gleichen Kräfte wirken aber weit über die früheste Kind- heit, ja über die Familie im engsten Sinn hinaus; sie bleiben grundlegend für die ganze Erziehung des Willens, deren sonstige Faktoren ohne diesen ersten niemals ihre volle Wirksamkeit entfalten könnten. In keinem menschlichen Verhältnis darf dies Element ganz fehlen, und in seiner Kräftigung liegt, wie wir mit Pestalozzi überzeugt sind, zuletzt alle Hoffnung einer Versittlichung menschlicher Gemeinschaft überhaupt. Ich möchte dem Irrglauben zwar nicht Vorschub thun, dass Un- sittlichkeit nur Krankheit sei, aber das Wahre ist daran, dass die sittliche Gesundung von unten auf, von der Grundlage des Trieblebens, folglich von der Sorge um Kraft und Reinheit familienhafter Gemeinschaft ihren Ausgang nehmen muss; dass alle Sittenpredigt verschwendet ist, ja dem sittlichen Tadel jedes Erntenwollens, wo man nicht gesät hat, unterliegt, welche für diese allererste Bedingung sittlicher Bildung zu sorgen vergisst. Von der Wiederherstellung des Bewusstseins der Arbeitsgemeinschaft, von der Heiligung der Arbeit und des Genusses durch die Gemeinschaft, durch ihre Aufnahme in den Plan der Erziehung zum Menschentum, erwarten wir die Heilung unsrer privaten und öffentlichen Zustände. Vor allem, man kümmere sich darum, wie Menschen leben, welche Be- dingungen ihnen gewährt sind, um ein Leben führen zu können, wie man es von ihnen fordert und erwartet. Man fasse das Problem „sozialer Ökonomie“ einmal ernsthaft in diesem sitt- lichen, oder sagen wir pädagogischen Sinn: dass von der Öko- nomie der Lebensfunktionen in der Gemeinschaft alle sozialen Funktionen bis zu den höchsten hinauf schliesslich abhängen, und dass diese Ökonomie nur auf Grund der Gemeinschaft, nach dem allgemeinen Typus einer sittlich geordneten Familie, sich wirksam und rein gestalten kann. Das führt auf organi- satorische Forderungen, wie sie an früherer Stelle angedeutet wurden. Ich vermeine nicht darüber irgend Abschliessendes aufgestellt zu haben; wenn es am Willen nicht fehlte, würden auch die Wege sich wohl erschliessen. Keinesfalls darf man uns hier auf eine voraus erwartete, wie mechanische Lösung

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/267>, abgerufen am 22.11.2024.