wirkenden erzieherischen Kraft nicht emporbilden, wenn nicht mit wachsender Bewusstheit eine neue, anders geartete Be- ziehung sich bildete, die erst zu einem eigentlichen Mit- einanderwollen führt. Hier ist schon ein freieres Verhält- nis auf sich gestellter Personen, und anfangs überwiegt weit der Drang der Selbständigkeit. Das ist nun die eigentliche Krisis der Erziehung, dass jetzt der erstarkende Wille, ohne seiner Eigenheit verlustig zu gehen, ja gerade im vollberechtigten Drang nach Selbständigkeit, doch festen Halt findet an einem überlegenen Willen, dessen sicherer Führung er sich in freier Zuversicht und nicht mehr blosser sinnlicher Gebundenheit ver- trauen kann; der, in dem Maasse, wie die nächsten, sinnlichen Bande sich lockern, scheinbar durch das lose luftige Wort die jugendliche Kraft zu zügeln und in die rechten Bahnen zu lenken weiss. Die Aufgabe ist indessen nicht so schwer, wie sie in abstrakter Betrachtung erscheinen kann. Die sinnliche Abhängigkeit reisst doch nicht plötzlich ab, sie hört in der That nie ganz auf, sie lockert sich nur, indem schrittweise die Kraft des Selberwollens erstarkt. Und dann bildet sich, zu- gleich mit dem Bewusstsein der Selbständigkeit des eigenen Wollens, normalerweise das Verständnis für ein ebenso selb- ständiges Wollen des Andern; das Selberwollen erstarkt am Mitwollen des Andern und mit dem Andern, und so entsteht, während die erste Art der Gemeinschaft zurücktritt, aber keineswegs verschwindet, zugleich eine neue, freiere und weitere, aber desto gesetzmässigere, gesetzbewusstere Gemeinschaft. Es ist jener natürliche Gemeingeist, wie ihn jede Schule oder Schulklasse, die in gutem Zuge ist, deutlich erkennen lässt. Und damit ist dann auch der beste Grund gelegt für das dritte: für eine solche Gemeinschaft der Willen, die auf reiner gegenseitiger Verständigung, also nicht auf Mitempfindung allein und dem Formalen des Mitwollens, sondern auf Mit- vernunft, auf der gewinnenden Kraft der Ueberzeugung ruht. Das aber ist die eigentlich erziehende Kraft des selbst- bewussten, sittlichen Wollens. Die Macht der Vernunft über den Willen erscheint nur dann, und ist in der That, schwach, wenn sie losgerissen von den beiden ursprünglicheren Trieb-
wirkenden erzieherischen Kraft nicht emporbilden, wenn nicht mit wachsender Bewusstheit eine neue, anders geartete Be- ziehung sich bildete, die erst zu einem eigentlichen Mit- einanderwollen führt. Hier ist schon ein freieres Verhält- nis auf sich gestellter Personen, und anfangs überwiegt weit der Drang der Selbständigkeit. Das ist nun die eigentliche Krisis der Erziehung, dass jetzt der erstarkende Wille, ohne seiner Eigenheit verlustig zu gehen, ja gerade im vollberechtigten Drang nach Selbständigkeit, doch festen Halt findet an einem überlegenen Willen, dessen sicherer Führung er sich in freier Zuversicht und nicht mehr blosser sinnlicher Gebundenheit ver- trauen kann; der, in dem Maasse, wie die nächsten, sinnlichen Bande sich lockern, scheinbar durch das lose luftige Wort die jugendliche Kraft zu zügeln und in die rechten Bahnen zu lenken weiss. Die Aufgabe ist indessen nicht so schwer, wie sie in abstrakter Betrachtung erscheinen kann. Die sinnliche Abhängigkeit reisst doch nicht plötzlich ab, sie hört in der That nie ganz auf, sie lockert sich nur, indem schrittweise die Kraft des Selberwollens erstarkt. Und dann bildet sich, zu- gleich mit dem Bewusstsein der Selbständigkeit des eigenen Wollens, normalerweise das Verständnis für ein ebenso selb- ständiges Wollen des Andern; das Selberwollen erstarkt am Mitwollen des Andern und mit dem Andern, und so entsteht, während die erste Art der Gemeinschaft zurücktritt, aber keineswegs verschwindet, zugleich eine neue, freiere und weitere, aber desto gesetzmässigere, gesetzbewusstere Gemeinschaft. Es ist jener natürliche Gemeingeist, wie ihn jede Schule oder Schulklasse, die in gutem Zuge ist, deutlich erkennen lässt. Und damit ist dann auch der beste Grund gelegt für das dritte: für eine solche Gemeinschaft der Willen, die auf reiner gegenseitiger Verständigung, also nicht auf Mitempfindung allein und dem Formalen des Mitwollens, sondern auf Mit- vernunft, auf der gewinnenden Kraft der Ueberzeugung ruht. Das aber ist die eigentlich erziehende Kraft des selbst- bewussten, sittlichen Wollens. Die Macht der Vernunft über den Willen erscheint nur dann, und ist in der That, schwach, wenn sie losgerissen von den beiden ursprünglicheren Trieb-
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wirkenden erzieherischen Kraft nicht emporbilden, wenn nicht
mit wachsender Bewusstheit eine neue, anders geartete Be-
ziehung sich bildete, die erst zu einem eigentlichen Mit-
einanderwollen führt. Hier ist schon ein freieres Verhält-
nis auf sich gestellter Personen, und anfangs überwiegt weit
der Drang der Selbständigkeit. Das ist nun die eigentliche
Krisis der Erziehung, dass jetzt der erstarkende Wille, ohne
seiner Eigenheit verlustig zu gehen, ja gerade im vollberechtigten
Drang nach Selbständigkeit, doch festen Halt findet an einem
überlegenen Willen, dessen sicherer Führung er sich in freier
Zuversicht und nicht mehr blosser sinnlicher Gebundenheit ver-
trauen kann; der, in dem Maasse, wie die nächsten, sinnlichen
Bande sich lockern, scheinbar durch das lose luftige Wort die
jugendliche Kraft zu zügeln und in die rechten Bahnen zu
lenken weiss. Die Aufgabe ist indessen nicht so schwer, wie
sie in abstrakter Betrachtung erscheinen kann. Die sinnliche
Abhängigkeit reisst doch nicht plötzlich ab, sie hört in der
That nie ganz auf, sie lockert sich nur, indem schrittweise die
Kraft des Selberwollens erstarkt. Und dann bildet sich, zu-
gleich mit dem Bewusstsein der Selbständigkeit des eigenen
Wollens, normalerweise das Verständnis für ein ebenso selb-
ständiges Wollen des Andern; das Selberwollen erstarkt am
Mitwollen des Andern und mit dem Andern, und so entsteht,
während die erste Art der Gemeinschaft zurücktritt, aber
keineswegs verschwindet, zugleich eine neue, freiere und weitere,
aber desto gesetzmässigere, gesetzbewusstere Gemeinschaft.
Es ist jener natürliche Gemeingeist, wie ihn jede Schule
oder Schulklasse, die in gutem Zuge ist, deutlich erkennen lässt.
Und damit ist dann auch der beste Grund gelegt für das
dritte: für eine solche Gemeinschaft der Willen, die auf reiner
gegenseitiger Verständigung, also nicht auf Mitempfindung
allein und dem Formalen des Mitwollens, sondern auf Mit-
vernunft, auf der gewinnenden Kraft der Ueberzeugung
ruht. Das aber ist die eigentlich erziehende Kraft des selbst-
bewussten, sittlichen Wollens. Die Macht der Vernunft über
den Willen erscheint nur dann, und ist in der That, schwach,
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/243>, abgerufen am 24.11.2024.
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