damit zum eigentlichen Ursprung eines gebildeten Willens führt. Gemeinschaft ist das Element der erziehenden Uebung und Lehre in formaler Hinsicht, ebenso wie sie material das Werk darstellt, das durch die erziehende Uebung und Lehre schrittweis der Vollendung entgegengeführt wird.
Hieraus lässt nun das, worauf wir ausgehen, die Form der willenbildenden Thätigkeit, also der erziehenden Uebung und Lehre, sich ableiten. Uebung im praktischen Sinne ist jedes erziehende, gemeinschaftliche Thun, praktische Lehre die er- ziehende Verständigung der so Thätigen über dieses ihr Thun. Dass aber beides erziehend, d. h. willenbildend sei, dazu sind die bekannten drei Stücke erforderlich: es muss zunächst das Interesse angeregt, die erst dämmernd sich entwickelnden Trieb- kräfte durch Aufforderung, Reizung, Angebot geeigneter Ob- jekte in Bewegung gesetzt, wie durch Anruf aus dem Schlummer geweckt; zweitens dem erwachten, zur Bethätigung drängenden Trieb die Einheit der Richtung, die Zielsicherheit, Sinn und Bedürfnis nach Regel und Gesetz eingeprägt werden; und eben damit drittens dem nunmehr bewussten Thun auch die Richtung auf durchgängige Einheit des Zieles, das Selbst- bewusstsein der Idee aufgehen. Damit wäre das Werk der Erziehung vollendet, indem fortan der zur Freiheit entlassene, selbstbewusste Wille die rechten Wege sich selber vorzeichnen würde, ohne des Führers zu bedürfen. Das Lernen und Fort- schreiten hört zwar nie auf, aber die Belehrung und Leitung durch Andre wird Selbstbelehrung, Selbstleitung.
Dies Dreifache nun gestaltet sich in der Gemeinschaft des Lehrenden und Lernenden, indem diese ganz in derselben Stufenfolge sich entwickelt und successiv vertieft. Die erste Stufe ist die der sinnlichen Abhängigkeit, in der sich die leicht bewegten, ihrer selbst kaum bewussten Triebe in enger An- schmiegung an den Willen des Führenden noch wie weiches Wachs biegen und formen lassen. Hier geht die Gemeinschaft noch völlig auf im unmittelbarsten, zartesten gegenseitigen Mitempfinden, wie zwischen Mutter und Säugling. Im Momente ihrer reinen Gegenwart ist ihr Einfluss fast allmächtig; sie würde sich dagegen zu einer nachhaltigen, auch in die Ferne
damit zum eigentlichen Ursprung eines gebildeten Willens führt. Gemeinschaft ist das Element der erziehenden Uebung und Lehre in formaler Hinsicht, ebenso wie sie material das Werk darstellt, das durch die erziehende Uebung und Lehre schrittweis der Vollendung entgegengeführt wird.
Hieraus lässt nun das, worauf wir ausgehen, die Form der willenbildenden Thätigkeit, also der erziehenden Uebung und Lehre, sich ableiten. Uebung im praktischen Sinne ist jedes erziehende, gemeinschaftliche Thun, praktische Lehre die er- ziehende Verständigung der so Thätigen über dieses ihr Thun. Dass aber beides erziehend, d. h. willenbildend sei, dazu sind die bekannten drei Stücke erforderlich: es muss zunächst das Interesse angeregt, die erst dämmernd sich entwickelnden Trieb- kräfte durch Aufforderung, Reizung, Angebot geeigneter Ob- jekte in Bewegung gesetzt, wie durch Anruf aus dem Schlummer geweckt; zweitens dem erwachten, zur Bethätigung drängenden Trieb die Einheit der Richtung, die Zielsicherheit, Sinn und Bedürfnis nach Regel und Gesetz eingeprägt werden; und eben damit drittens dem nunmehr bewussten Thun auch die Richtung auf durchgängige Einheit des Zieles, das Selbst- bewusstsein der Idee aufgehen. Damit wäre das Werk der Erziehung vollendet, indem fortan der zur Freiheit entlassene, selbstbewusste Wille die rechten Wege sich selber vorzeichnen würde, ohne des Führers zu bedürfen. Das Lernen und Fort- schreiten hört zwar nie auf, aber die Belehrung und Leitung durch Andre wird Selbstbelehrung, Selbstleitung.
Dies Dreifache nun gestaltet sich in der Gemeinschaft des Lehrenden und Lernenden, indem diese ganz in derselben Stufenfolge sich entwickelt und successiv vertieft. Die erste Stufe ist die der sinnlichen Abhängigkeit, in der sich die leicht bewegten, ihrer selbst kaum bewussten Triebe in enger An- schmiegung an den Willen des Führenden noch wie weiches Wachs biegen und formen lassen. Hier geht die Gemeinschaft noch völlig auf im unmittelbarsten, zartesten gegenseitigen Mitempfinden, wie zwischen Mutter und Säugling. Im Momente ihrer reinen Gegenwart ist ihr Einfluss fast allmächtig; sie würde sich dagegen zu einer nachhaltigen, auch in die Ferne
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damit zum eigentlichen Ursprung eines gebildeten Willens
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Werk darstellt, das durch die erziehende Uebung und Lehre
schrittweis der Vollendung entgegengeführt wird.
Hieraus lässt nun das, worauf wir ausgehen, die Form
der willenbildenden Thätigkeit, also der erziehenden Uebung
und Lehre, sich ableiten. Uebung im praktischen Sinne ist jedes
erziehende, gemeinschaftliche Thun, praktische Lehre die er-
ziehende Verständigung der so Thätigen über dieses ihr Thun.
Dass aber beides erziehend, d. h. willenbildend sei, dazu sind
die bekannten drei Stücke erforderlich: es muss zunächst das
Interesse angeregt, die erst dämmernd sich entwickelnden Trieb-
kräfte durch Aufforderung, Reizung, Angebot geeigneter Ob-
jekte in Bewegung gesetzt, wie durch Anruf aus dem Schlummer
geweckt; zweitens dem erwachten, zur Bethätigung drängenden
Trieb die Einheit der Richtung, die Zielsicherheit, Sinn und
Bedürfnis nach Regel und Gesetz eingeprägt werden; und
eben damit drittens dem nunmehr bewussten Thun auch die
Richtung auf durchgängige Einheit des Zieles, das Selbst-
bewusstsein der Idee aufgehen. Damit wäre das Werk der
Erziehung vollendet, indem fortan der zur Freiheit entlassene,
selbstbewusste Wille die rechten Wege sich selber vorzeichnen
würde, ohne des Führers zu bedürfen. Das Lernen und Fort-
schreiten hört zwar nie auf, aber die Belehrung und Leitung
durch Andre wird Selbstbelehrung, Selbstleitung.
Dies Dreifache nun gestaltet sich in der Gemeinschaft des
Lehrenden und Lernenden, indem diese ganz in derselben
Stufenfolge sich entwickelt und successiv vertieft. Die erste
Stufe ist die der sinnlichen Abhängigkeit, in der sich die leicht
bewegten, ihrer selbst kaum bewussten Triebe in enger An-
schmiegung an den Willen des Führenden noch wie weiches
Wachs biegen und formen lassen. Hier geht die Gemeinschaft
noch völlig auf im unmittelbarsten, zartesten gegenseitigen
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/242>, abgerufen am 24.11.2024.
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