dem Begriff eines Zieles, das erreicht, einer Bestimmung, die erfüllt werden solle, d. i. unter einer Idee zu denken; und so scheint die angenommene Analogie ja immer noch zuzutreffen.
Allein bei der materiellen Entwicklung besagt das Ziel einen wahren, angebbaren Endpunkt, eine nicht zu über- schreitende Grenze, ein nicht zu übertreffendes Maximum. Solche und solche bestimmte Leistungen ist die gegebene materielle Organisation überhaupt zu entwickeln fähig. Darüber hinauszukommen bleibt ihr auch unter den günstigsten Um- ständen versagt; während es wohl ein Zurückbleiben hinter dem Ziel, eben unter der Ungunst der äusseren Bedingungen der Entwicklung, giebt.
Dass das Maximum sich etwa nicht absolut bestimmen lässt, macht keinen grundsätzlichen Unterschied. Unter Vor- aussetzung unwandelbarer Artbegriffe würde es sich bestimmen lassen. Nun strebt die Biologie zwar die Artbegriffe zu ver- flüssigen, die starren Formen möglichst in Prozess und Be- wegung aufzulösen. Allein ein Maximum der Entwicklungs- fähigkeit muss für die gegebene individuelle Organisation doch immer angenommen werden; das liegt schon in der Voraus- setzung einer bestimmten, gegebenen Organisation. "Es ist dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen." Wird aber ein Maximum vorausgesetzt, so lässt sich die Zweck- betrachtung ganz ausscheiden und in die rein ursachliche umsetzen.
Für die Biologie stellt sich die Frage eigentlich immer so: Wenn die und die Höhe von Leistungen erreicht werden soll -- dass sie es soll, steht gar nicht in Frage --, welche Bedingungen müssen erfüllt sein? Diese Frage ist aber völlig einerlei mit der andern: Welches sind die Ursachen solcher vorausgedachten Wirkungen? Das Vorausdenken der Wir- kungen ändert nichts an dem kausalen Charakter des Ver- hältnisses. Gewöhnlich sind ja die Wirkungen zuerst bekannt und wird von diesen auf die Ursachen analytisch zurück- gegangen; erst dann lassen sich auch progressiv oder synthetisch aus den voraus bekannten Ursachen die Wirkungen berechnen. Uebersähe man nur das ganze Geflecht der Bedingungen, so
dem Begriff eines Zieles, das erreicht, einer Bestimmung, die erfüllt werden solle, d. i. unter einer Idee zu denken; und so scheint die angenommene Analogie ja immer noch zuzutreffen.
Allein bei der materiellen Entwicklung besagt das Ziel einen wahren, angebbaren Endpunkt, eine nicht zu über- schreitende Grenze, ein nicht zu übertreffendes Maximum. Solche und solche bestimmte Leistungen ist die gegebene materielle Organisation überhaupt zu entwickeln fähig. Darüber hinauszukommen bleibt ihr auch unter den günstigsten Um- ständen versagt; während es wohl ein Zurückbleiben hinter dem Ziel, eben unter der Ungunst der äusseren Bedingungen der Entwicklung, giebt.
Dass das Maximum sich etwa nicht absolut bestimmen lässt, macht keinen grundsätzlichen Unterschied. Unter Vor- aussetzung unwandelbarer Artbegriffe würde es sich bestimmen lassen. Nun strebt die Biologie zwar die Artbegriffe zu ver- flüssigen, die starren Formen möglichst in Prozess und Be- wegung aufzulösen. Allein ein Maximum der Entwicklungs- fähigkeit muss für die gegebene individuelle Organisation doch immer angenommen werden; das liegt schon in der Voraus- setzung einer bestimmten, gegebenen Organisation. „Es ist dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen.“ Wird aber ein Maximum vorausgesetzt, so lässt sich die Zweck- betrachtung ganz ausscheiden und in die rein ursachliche umsetzen.
Für die Biologie stellt sich die Frage eigentlich immer so: Wenn die und die Höhe von Leistungen erreicht werden soll — dass sie es soll, steht gar nicht in Frage —, welche Bedingungen müssen erfüllt sein? Diese Frage ist aber völlig einerlei mit der andern: Welches sind die Ursachen solcher vorausgedachten Wirkungen? Das Vorausdenken der Wir- kungen ändert nichts an dem kausalen Charakter des Ver- hältnisses. Gewöhnlich sind ja die Wirkungen zuerst bekannt und wird von diesen auf die Ursachen analytisch zurück- gegangen; erst dann lassen sich auch progressiv oder synthetisch aus den voraus bekannten Ursachen die Wirkungen berechnen. Uebersähe man nur das ganze Geflecht der Bedingungen, so
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dem Begriff eines Zieles, das erreicht, einer Bestimmung, die
erfüllt werden solle, d. i. unter einer Idee zu denken; und so
scheint die angenommene Analogie ja immer noch zuzutreffen.
Allein bei der materiellen Entwicklung besagt das Ziel
einen wahren, angebbaren Endpunkt, eine nicht zu über-
schreitende Grenze, ein nicht zu übertreffendes Maximum.
Solche und solche bestimmte Leistungen ist die gegebene
materielle Organisation überhaupt zu entwickeln fähig. Darüber
hinauszukommen bleibt ihr auch unter den günstigsten Um-
ständen versagt; während es wohl ein Zurückbleiben hinter
dem Ziel, eben unter der Ungunst der äusseren Bedingungen
der Entwicklung, giebt.
Dass das Maximum sich etwa nicht absolut bestimmen
lässt, macht keinen grundsätzlichen Unterschied. Unter Vor-
aussetzung unwandelbarer Artbegriffe würde es sich bestimmen
lassen. Nun strebt die Biologie zwar die Artbegriffe zu ver-
flüssigen, die starren Formen möglichst in Prozess und Be-
wegung aufzulösen. Allein ein Maximum der Entwicklungs-
fähigkeit muss für die gegebene individuelle Organisation doch
immer angenommen werden; das liegt schon in der Voraus-
setzung einer bestimmten, gegebenen Organisation. „Es ist
dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen.“
Wird aber ein Maximum vorausgesetzt, so lässt sich die Zweck-
betrachtung ganz ausscheiden und in die rein ursachliche
umsetzen.
Für die Biologie stellt sich die Frage eigentlich immer
so: Wenn die und die Höhe von Leistungen erreicht werden
soll — dass sie es soll, steht gar nicht in Frage —, welche
Bedingungen müssen erfüllt sein? Diese Frage ist aber völlig
einerlei mit der andern: Welches sind die Ursachen solcher
vorausgedachten Wirkungen? Das Vorausdenken der Wir-
kungen ändert nichts an dem kausalen Charakter des Ver-
hältnisses. Gewöhnlich sind ja die Wirkungen zuerst bekannt
und wird von diesen auf die Ursachen analytisch zurück-
gegangen; erst dann lassen sich auch progressiv oder synthetisch
aus den voraus bekannten Ursachen die Wirkungen berechnen.
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/23>, abgerufen am 22.11.2024.
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