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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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halben umgiebt. Etwas völlig Neues ist dem gegenüber die
bewusste und willentliche Fügung in eine nicht selbstverständ-
liche noch auf den Einzelnen zugeschnittene Ordnung, wie die
Schule sie fordert. Und diese beschränkt sich nicht etwa auf
die äussere Haltung und Zucht, sie erstreckt sich ebenso auf
Gedanken und Gedankenausdruck des Schülers.

So ergiebt sich ein durchaus einheitlicher Begriff dessen,
was die Schule in intellektueller wie moralischer Hinsicht zu
vollbringen hat. Es ergiebt sich zugleich, dass in der Schul-
erziehung, gegenüber der noch ungeschiedenen Einheit von
Intellekt- und Willensbildung auf der ersten Stufe, eine be-
stimmte Scheidung beider nötig wird. Es soll bei ihr nicht
bleiben, aber sie ist für diese Stufe unerlässlich, gerade damit
die eigentümlichen Gesetze einerseits des Verstehens, andrer-
seits des Wollens sich zu Begriff und Erkenntnis abklären
können.

Und zwar fällt das Hauptgewicht sachgemäss auf die
Seite der Intellektbildung; d. h. die zentrale Aufgabe der
Schule ist der Unterricht. Auch was sie zur Erziehung
beiträgt, vermag sie nur dadurch, dass sie den Unterricht in
die Mitte stellt und die Erziehung, scheinbar wenigstens und
äusserlich, ihm unterordnet. Die Erhebung vom Trieb zum
Willen beruht ja auf der Konzentration des Bewusst-
seins
(§ 8). Diese giebt erst der anfangs bloss vorhandenen
blinden Tendenz die sichere Richtung auf ihr Objekt, die den
Willen vom willenlosen Trieb unterscheidet. Das ist an sich
logische, noch nicht ethische Leistung. Dass darin gleich-
wohl auch ein Faktor der Willensbildung unmittelbar liegt,
begreift sich: das logische Gesetz zwar ist an sich nicht Ge-
setz des Willens, aber das Denken nach dem Gesetz, das
Denken des Gesetzes selbst, dies Thun steht unter der Bot-
mässigkeit des Willens. Der Unterricht lehrt nicht bloss
richtig denken, er lehrt richtig denken wollen; er lehrt es,
indem er in der Kraft des logischen Bewusstseins selbst, der
Gedankenkonzentration, die Kraft zu wollen, nicht bloss
blinden Antrieben zu folgen, entwickelt. So mag man von
"erziehendem Unterricht" reden. Oefter freilich hat das allzu

halben umgiebt. Etwas völlig Neues ist dem gegenüber die
bewusste und willentliche Fügung in eine nicht selbstverständ-
liche noch auf den Einzelnen zugeschnittene Ordnung, wie die
Schule sie fordert. Und diese beschränkt sich nicht etwa auf
die äussere Haltung und Zucht, sie erstreckt sich ebenso auf
Gedanken und Gedankenausdruck des Schülers.

So ergiebt sich ein durchaus einheitlicher Begriff dessen,
was die Schule in intellektueller wie moralischer Hinsicht zu
vollbringen hat. Es ergiebt sich zugleich, dass in der Schul-
erziehung, gegenüber der noch ungeschiedenen Einheit von
Intellekt- und Willensbildung auf der ersten Stufe, eine be-
stimmte Scheidung beider nötig wird. Es soll bei ihr nicht
bleiben, aber sie ist für diese Stufe unerlässlich, gerade damit
die eigentümlichen Gesetze einerseits des Verstehens, andrer-
seits des Wollens sich zu Begriff und Erkenntnis abklären
können.

Und zwar fällt das Hauptgewicht sachgemäss auf die
Seite der Intellektbildung; d. h. die zentrale Aufgabe der
Schule ist der Unterricht. Auch was sie zur Erziehung
beiträgt, vermag sie nur dadurch, dass sie den Unterricht in
die Mitte stellt und die Erziehung, scheinbar wenigstens und
äusserlich, ihm unterordnet. Die Erhebung vom Trieb zum
Willen beruht ja auf der Konzentration des Bewusst-
seins
(§ 8). Diese giebt erst der anfangs bloss vorhandenen
blinden Tendenz die sichere Richtung auf ihr Objekt, die den
Willen vom willenlosen Trieb unterscheidet. Das ist an sich
logische, noch nicht ethische Leistung. Dass darin gleich-
wohl auch ein Faktor der Willensbildung unmittelbar liegt,
begreift sich: das logische Gesetz zwar ist an sich nicht Ge-
setz des Willens, aber das Denken nach dem Gesetz, das
Denken des Gesetzes selbst, dies Thun steht unter der Bot-
mässigkeit des Willens. Der Unterricht lehrt nicht bloss
richtig denken, er lehrt richtig denken wollen; er lehrt es,
indem er in der Kraft des logischen Bewusstseins selbst, der
Gedankenkonzentration, die Kraft zu wollen, nicht bloss
blinden Antrieben zu folgen, entwickelt. So mag man von
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[207/0223] halben umgiebt. Etwas völlig Neues ist dem gegenüber die bewusste und willentliche Fügung in eine nicht selbstverständ- liche noch auf den Einzelnen zugeschnittene Ordnung, wie die Schule sie fordert. Und diese beschränkt sich nicht etwa auf die äussere Haltung und Zucht, sie erstreckt sich ebenso auf Gedanken und Gedankenausdruck des Schülers. So ergiebt sich ein durchaus einheitlicher Begriff dessen, was die Schule in intellektueller wie moralischer Hinsicht zu vollbringen hat. Es ergiebt sich zugleich, dass in der Schul- erziehung, gegenüber der noch ungeschiedenen Einheit von Intellekt- und Willensbildung auf der ersten Stufe, eine be- stimmte Scheidung beider nötig wird. Es soll bei ihr nicht bleiben, aber sie ist für diese Stufe unerlässlich, gerade damit die eigentümlichen Gesetze einerseits des Verstehens, andrer- seits des Wollens sich zu Begriff und Erkenntnis abklären können. Und zwar fällt das Hauptgewicht sachgemäss auf die Seite der Intellektbildung; d. h. die zentrale Aufgabe der Schule ist der Unterricht. Auch was sie zur Erziehung beiträgt, vermag sie nur dadurch, dass sie den Unterricht in die Mitte stellt und die Erziehung, scheinbar wenigstens und äusserlich, ihm unterordnet. Die Erhebung vom Trieb zum Willen beruht ja auf der Konzentration des Bewusst- seins (§ 8). Diese giebt erst der anfangs bloss vorhandenen blinden Tendenz die sichere Richtung auf ihr Objekt, die den Willen vom willenlosen Trieb unterscheidet. Das ist an sich logische, noch nicht ethische Leistung. Dass darin gleich- wohl auch ein Faktor der Willensbildung unmittelbar liegt, begreift sich: das logische Gesetz zwar ist an sich nicht Ge- setz des Willens, aber das Denken nach dem Gesetz, das Denken des Gesetzes selbst, dies Thun steht unter der Bot- mässigkeit des Willens. Der Unterricht lehrt nicht bloss richtig denken, er lehrt richtig denken wollen; er lehrt es, indem er in der Kraft des logischen Bewusstseins selbst, der Gedankenkonzentration, die Kraft zu wollen, nicht bloss blinden Antrieben zu folgen, entwickelt. So mag man von „erziehendem Unterricht“ reden. Oefter freilich hat das allzu

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/223>, abgerufen am 25.11.2024.