sie sogar weit strenger beobachtet als die Sprache der Er- wachsenen, die weit mehr Ausnahmen kennt. Aber diese Regelmässigkeit ist grösstenteils nur mechanische Wirkung des Gesetzes der Sparsamkeit oder richtiger des Trägheits- gesetzes. Etwas ganz Anderes ist es, die Regel als solche auffassen, sie in eigenem abgesondertem Bewusstsein haben und sein Sprechen ihrer Herrschaft systematisch unterstellen, wie es die Schule lehrt. So walten schon im Aufbau der menschlichen Wahrnehmungen die schlichtesten Gesetze der Mathematik, Mechanik, Optik u. s. w. Der Blick, die Füh- rung der Hand, fast jede Bewegung der Glieder folgt dem Gesetze des kürzesten Weges. Auch kann man nicht sagen, dass diese Gesetzmässigkeit dem Kinde gänzlich unbewusst bliebe. Das zweijährige Kind z. B., das seinen Baukasten einräumt (was das intelligenteste Tier ihm schwerlich nach- thut) oder seine kleinen Bauten aufführt, beweist mit der That die praktische Kenntnis einfachster geometrischer, mecha- nischer, optischer Verhältnisse. Aber etwas ganz Anderes ist es, das Gesetz als solches abzusondern und in einem eigens darauf gerichteten Bewusstsein festzuhalten. Das ist der eigent- liche Unterschied zwischen Schulerziehung und Hauserziehung. Der Ort und die sonstigen äusseren Umstände, die Person des Lehrenden, das alles macht ihn nicht aus. Ein sonst durchaus schulmässiger Unterricht kann daheim von den Eltern, ein ganz hausmässiger in eigenem Lokal von angestellten Personen, getrennt von der Familie, unter öffentlicher Leitung und Auf- sicht erteilt werden. Auch der Umfang des zu Leistenden entscheidet nicht. Wir erkannten es schon als eine Art op- tischer Täuschung, dass der geistige Fortschritt in den ersten Lebensjahren geringer sei als in der Schulzeit. Der Unter- schied ist vielmehr qualitativ; er liegt in dem ausdrücklichen Bewusstwerden der Form der menschlichen Bildung und darum in der absichtsvollen Leitung der Bildungsthätigkeit. Regel und Ordnung soll gewiss auch in der häuslichen Erziehung walten, aber sie soll nicht zu ausdrücklichem Bewusstsein kommen. Das Kind soll in ihr als in seinem Elemente leben, aber sie so wenig spüren, wie die Lebensluft, die es allent-
sie sogar weit strenger beobachtet als die Sprache der Er- wachsenen, die weit mehr Ausnahmen kennt. Aber diese Regelmässigkeit ist grösstenteils nur mechanische Wirkung des Gesetzes der Sparsamkeit oder richtiger des Trägheits- gesetzes. Etwas ganz Anderes ist es, die Regel als solche auffassen, sie in eigenem abgesondertem Bewusstsein haben und sein Sprechen ihrer Herrschaft systematisch unterstellen, wie es die Schule lehrt. So walten schon im Aufbau der menschlichen Wahrnehmungen die schlichtesten Gesetze der Mathematik, Mechanik, Optik u. s. w. Der Blick, die Füh- rung der Hand, fast jede Bewegung der Glieder folgt dem Gesetze des kürzesten Weges. Auch kann man nicht sagen, dass diese Gesetzmässigkeit dem Kinde gänzlich unbewusst bliebe. Das zweijährige Kind z. B., das seinen Baukasten einräumt (was das intelligenteste Tier ihm schwerlich nach- thut) oder seine kleinen Bauten aufführt, beweist mit der That die praktische Kenntnis einfachster geometrischer, mecha- nischer, optischer Verhältnisse. Aber etwas ganz Anderes ist es, das Gesetz als solches abzusondern und in einem eigens darauf gerichteten Bewusstsein festzuhalten. Das ist der eigent- liche Unterschied zwischen Schulerziehung und Hauserziehung. Der Ort und die sonstigen äusseren Umstände, die Person des Lehrenden, das alles macht ihn nicht aus. Ein sonst durchaus schulmässiger Unterricht kann daheim von den Eltern, ein ganz hausmässiger in eigenem Lokal von angestellten Personen, getrennt von der Familie, unter öffentlicher Leitung und Auf- sicht erteilt werden. Auch der Umfang des zu Leistenden entscheidet nicht. Wir erkannten es schon als eine Art op- tischer Täuschung, dass der geistige Fortschritt in den ersten Lebensjahren geringer sei als in der Schulzeit. Der Unter- schied ist vielmehr qualitativ; er liegt in dem ausdrücklichen Bewusstwerden der Form der menschlichen Bildung und darum in der absichtsvollen Leitung der Bildungsthätigkeit. Regel und Ordnung soll gewiss auch in der häuslichen Erziehung walten, aber sie soll nicht zu ausdrücklichem Bewusstsein kommen. Das Kind soll in ihr als in seinem Elemente leben, aber sie so wenig spüren, wie die Lebensluft, die es allent-
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[206/0222]
sie sogar weit strenger beobachtet als die Sprache der Er-
wachsenen, die weit mehr Ausnahmen kennt. Aber diese
Regelmässigkeit ist grösstenteils nur mechanische Wirkung
des Gesetzes der Sparsamkeit oder richtiger des Trägheits-
gesetzes. Etwas ganz Anderes ist es, die Regel als solche
auffassen, sie in eigenem abgesondertem Bewusstsein haben
und sein Sprechen ihrer Herrschaft systematisch unterstellen,
wie es die Schule lehrt. So walten schon im Aufbau der
menschlichen Wahrnehmungen die schlichtesten Gesetze der
Mathematik, Mechanik, Optik u. s. w. Der Blick, die Füh-
rung der Hand, fast jede Bewegung der Glieder folgt dem
Gesetze des kürzesten Weges. Auch kann man nicht sagen,
dass diese Gesetzmässigkeit dem Kinde gänzlich unbewusst
bliebe. Das zweijährige Kind z. B., das seinen Baukasten
einräumt (was das intelligenteste Tier ihm schwerlich nach-
thut) oder seine kleinen Bauten aufführt, beweist mit der
That die praktische Kenntnis einfachster geometrischer, mecha-
nischer, optischer Verhältnisse. Aber etwas ganz Anderes ist
es, das Gesetz als solches abzusondern und in einem eigens
darauf gerichteten Bewusstsein festzuhalten. Das ist der eigent-
liche Unterschied zwischen Schulerziehung und Hauserziehung.
Der Ort und die sonstigen äusseren Umstände, die Person des
Lehrenden, das alles macht ihn nicht aus. Ein sonst durchaus
schulmässiger Unterricht kann daheim von den Eltern, ein
ganz hausmässiger in eigenem Lokal von angestellten Personen,
getrennt von der Familie, unter öffentlicher Leitung und Auf-
sicht erteilt werden. Auch der Umfang des zu Leistenden
entscheidet nicht. Wir erkannten es schon als eine Art op-
tischer Täuschung, dass der geistige Fortschritt in den ersten
Lebensjahren geringer sei als in der Schulzeit. Der Unter-
schied ist vielmehr qualitativ; er liegt in dem ausdrücklichen
Bewusstwerden der Form der menschlichen Bildung und darum
in der absichtsvollen Leitung der Bildungsthätigkeit. Regel
und Ordnung soll gewiss auch in der häuslichen Erziehung
walten, aber sie soll nicht zu ausdrücklichem Bewusstsein
kommen. Das Kind soll in ihr als in seinem Elemente leben,
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/222>, abgerufen am 25.11.2024.
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