sofern und solange sie legal besteht und nicht auf legalem Wege geändert ist, an seinem Teile zu stützen, sie sowohl selber einzuhalten als für ihre Befolgung durch Andre einzu- stehen, soweit dies möglich und erforderlich ist; und die posi- tive, auf ihre bessere Gestaltung mit allen gesetzlich zu- lässigen Mitteln hinzuarbeiten. Das Erste, weil sonst auch die schon erreichte, wenn noch so geringe Näherung zu einer sittlichen Ordnung und damit die Voraussetzung jedes Fort- schritts zum Bessern in Frage gestellt würde; das Zweite, weil an der Besserung des sozialen Zustandes zu arbeiten um so mehr Pflicht ist, je mehr die Möglichkeit gegeben ist, diese Besserung ohne Erschütterung des gesetzlichen Zustands über- haupt, ohne "Umsturz" zu erreichen. Wo diese Haltung in einem Gemeinwesen vorherrschend wäre, wo insbesondere seine Regierung von diesem Geiste durchdrungen wäre, da bewiese es damit die Tugend sittlicher Tapferkeit, als der echten sitt- lichen Selbstbehauptung, nämlich Behauptung und Stär- kung seines sittlichen Standes.
Eine anders begründete soziale Tapferkeit, eine andre Treue gegen die Gemeinschaft, der man angehört, eine andre Vaterlandsliebe als diese kann sittlich nicht gefordert werden. Das Einstehen für die gegebene empirische Gemein- schaft, gegen jede andre, bloss weil es gerade die unsre ist, weil wir in sie und nicht in eine benachbarte, mit der sie etwa im erklärten oder unerklärten Kriege lebt, hineingeboren oder durch irgend ein zwingendes Geschick verpflanzt sind, ist überhaupt nicht, am wenigsten als sittliche Pflicht zu ver- stehen. Aber unter Voraussetzung jenes sittlichen Grun- des unterliege ich allerdings der Verpflichtung, für die soziale Ordnung an eben der Stelle, an die ich durch Geburt oder andre zwingende Umstände einmal gestellt bin, einzutreten; ich darf diese Stelle nicht aus blosser Willkür mit einer andern vertauschen, oder den Verpflichtungen, die sie aufer- legt, mich entziehen. Selbst Krieg zu führen -- an sich eine schlechte Sache -- kann in gegebener Lage unausweichliche Pflicht sein; so wie aus der Unsittlichkeit von Gewaltthat überhaupt nicht richtig gefolgert würde, dass man nicht den,
sofern und solange sie legal besteht und nicht auf legalem Wege geändert ist, an seinem Teile zu stützen, sie sowohl selber einzuhalten als für ihre Befolgung durch Andre einzu- stehen, soweit dies möglich und erforderlich ist; und die posi- tive, auf ihre bessere Gestaltung mit allen gesetzlich zu- lässigen Mitteln hinzuarbeiten. Das Erste, weil sonst auch die schon erreichte, wenn noch so geringe Näherung zu einer sittlichen Ordnung und damit die Voraussetzung jedes Fort- schritts zum Bessern in Frage gestellt würde; das Zweite, weil an der Besserung des sozialen Zustandes zu arbeiten um so mehr Pflicht ist, je mehr die Möglichkeit gegeben ist, diese Besserung ohne Erschütterung des gesetzlichen Zustands über- haupt, ohne „Umsturz“ zu erreichen. Wo diese Haltung in einem Gemeinwesen vorherrschend wäre, wo insbesondere seine Regierung von diesem Geiste durchdrungen wäre, da bewiese es damit die Tugend sittlicher Tapferkeit, als der echten sitt- lichen Selbstbehauptung, nämlich Behauptung und Stär- kung seines sittlichen Standes.
Eine anders begründete soziale Tapferkeit, eine andre Treue gegen die Gemeinschaft, der man angehört, eine andre Vaterlandsliebe als diese kann sittlich nicht gefordert werden. Das Einstehen für die gegebene empirische Gemein- schaft, gegen jede andre, bloss weil es gerade die unsre ist, weil wir in sie und nicht in eine benachbarte, mit der sie etwa im erklärten oder unerklärten Kriege lebt, hineingeboren oder durch irgend ein zwingendes Geschick verpflanzt sind, ist überhaupt nicht, am wenigsten als sittliche Pflicht zu ver- stehen. Aber unter Voraussetzung jenes sittlichen Grun- des unterliege ich allerdings der Verpflichtung, für die soziale Ordnung an eben der Stelle, an die ich durch Geburt oder andre zwingende Umstände einmal gestellt bin, einzutreten; ich darf diese Stelle nicht aus blosser Willkür mit einer andern vertauschen, oder den Verpflichtungen, die sie aufer- legt, mich entziehen. Selbst Krieg zu führen — an sich eine schlechte Sache — kann in gegebener Lage unausweichliche Pflicht sein; so wie aus der Unsittlichkeit von Gewaltthat überhaupt nicht richtig gefolgert würde, dass man nicht den,
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sofern und solange sie legal besteht und nicht auf legalem
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selber einzuhalten als für ihre Befolgung durch Andre einzu-
stehen, soweit dies möglich und erforderlich ist; und die posi-
tive, auf ihre bessere Gestaltung mit allen gesetzlich zu-
lässigen Mitteln hinzuarbeiten. Das Erste, weil sonst auch
die schon erreichte, wenn noch so geringe Näherung zu einer
sittlichen Ordnung und damit die Voraussetzung jedes Fort-
schritts zum Bessern in Frage gestellt würde; das Zweite, weil
an der Besserung des sozialen Zustandes zu arbeiten um so
mehr Pflicht ist, je mehr die Möglichkeit gegeben ist, diese
Besserung ohne Erschütterung des gesetzlichen Zustands über-
haupt, ohne „Umsturz“ zu erreichen. Wo diese Haltung in
einem Gemeinwesen vorherrschend wäre, wo insbesondere seine
Regierung von diesem Geiste durchdrungen wäre, da bewiese es
damit die Tugend sittlicher Tapferkeit, als der echten sitt-
lichen Selbstbehauptung, nämlich Behauptung und Stär-
kung seines sittlichen Standes.
Eine anders begründete soziale Tapferkeit, eine andre
Treue gegen die Gemeinschaft, der man angehört, eine andre
Vaterlandsliebe als diese kann sittlich nicht gefordert
werden. Das Einstehen für die gegebene empirische Gemein-
schaft, gegen jede andre, bloss weil es gerade die unsre ist,
weil wir in sie und nicht in eine benachbarte, mit der sie
etwa im erklärten oder unerklärten Kriege lebt, hineingeboren
oder durch irgend ein zwingendes Geschick verpflanzt sind,
ist überhaupt nicht, am wenigsten als sittliche Pflicht zu ver-
stehen. Aber unter Voraussetzung jenes sittlichen Grun-
des unterliege ich allerdings der Verpflichtung, für die soziale
Ordnung an eben der Stelle, an die ich durch Geburt oder
andre zwingende Umstände einmal gestellt bin, einzutreten;
ich darf diese Stelle nicht aus blosser Willkür mit einer
andern vertauschen, oder den Verpflichtungen, die sie aufer-
legt, mich entziehen. Selbst Krieg zu führen — an sich eine
schlechte Sache — kann in gegebener Lage unausweichliche
Pflicht sein; so wie aus der Unsittlichkeit von Gewaltthat
überhaupt nicht richtig gefolgert würde, dass man nicht den,
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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