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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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zielen. Beides wirkt in voller Uebereinstimmung mit immer
unentrinnbarerem Zwang in der Richtung fortschreitender so-
zialer Konzentration
zunächst der wirtschaftlichen Thätig-
keit. Dadurch aber erhöht sich nicht nur der technische Er-
folg jeder gemeinschaftlich und im Sinne erhöhter Gemein-
schaftlichkeit geregelten Arbeit, und befestigt sich damit um
so mehr die Tendenz zur Gemeinschaft, sondern es muss sich
zugleich das Bewusstsein der Beteiligten über den blinden
Drang der täglichen Notdurft und augenblicklichen Behaup-
tung im Kriege aller gegen alle um die soziale Existenz mehr
und mehr erheben; es muss immer klarer werden, dass von
der Herrschaft des Bewusstseins für den Menschen
schliesslich nicht weniger als alles abhängt, und es muss so das
Verlangen entstehen und allgemein werden nach durchgängig
vernunftgemässer Regelung
der sozialen Thätigkeit auf
Grund sicherer wissenschaftlicher Erkenntnis der technischen
(naturtechnischen wie sozialtechnischen) Bedingungen eines
menschlichen Daseins auf Erden; dazu aber werden die drei
Grundformen sozialer Thätigkeit, die wirtschaftliche, regierende
und bildende, in der Art zusammenwirken müssen, dass der
letztbestimmende Faktor der des Bewusstseins, mithin die bil-
dende Thätigkeit ist.*)

Dies letztere hat sich die "materialistische Geschichtsauf-
fassung" bisher anzuerkennen gesträubt. Vergeblich, wie mir
scheint, denn die Konsequenz der Sache treibt mit unwider-
stehlichem Zwange dahin, und in vereinzelter richtigerer Ein-
sicht wird es auch oft genug, stillschweigend oder ausdrück-
lich, anerkannt. Das ausschliessliche Bauen auf die materialen
Faktoren zeigt sich in der Durchführung sofort unhaltbar.
Möchte immerhin der Anstoss zur sozialen Entwicklung stets
von veränderten technischen Bedingungen gemeinschaftlicher
Arbeit ausgehen, so beruht doch erstens der Fortschritt der

*) So erwartet Stammler (im Schluss, S. 634 ff.) den Anbruch einer
"Aera des objektiv Richtigen" im praktischen Erkennen, wie sie
für das theoretische längst angebrochen sei. Wo sich nur von neuem die
Frage aufdrängt, ob nicht zwischen beiden ein zwingender
Zusammenhang obwalten muss
?

zielen. Beides wirkt in voller Uebereinstimmung mit immer
unentrinnbarerem Zwang in der Richtung fortschreitender so-
zialer Konzentration
zunächst der wirtschaftlichen Thätig-
keit. Dadurch aber erhöht sich nicht nur der technische Er-
folg jeder gemeinschaftlich und im Sinne erhöhter Gemein-
schaftlichkeit geregelten Arbeit, und befestigt sich damit um
so mehr die Tendenz zur Gemeinschaft, sondern es muss sich
zugleich das Bewusstsein der Beteiligten über den blinden
Drang der täglichen Notdurft und augenblicklichen Behaup-
tung im Kriege aller gegen alle um die soziale Existenz mehr
und mehr erheben; es muss immer klarer werden, dass von
der Herrschaft des Bewusstseins für den Menschen
schliesslich nicht weniger als alles abhängt, und es muss so das
Verlangen entstehen und allgemein werden nach durchgängig
vernunftgemässer Regelung
der sozialen Thätigkeit auf
Grund sicherer wissenschaftlicher Erkenntnis der technischen
(naturtechnischen wie sozialtechnischen) Bedingungen eines
menschlichen Daseins auf Erden; dazu aber werden die drei
Grundformen sozialer Thätigkeit, die wirtschaftliche, regierende
und bildende, in der Art zusammenwirken müssen, dass der
letztbestimmende Faktor der des Bewusstseins, mithin die bil-
dende Thätigkeit ist.*)

Dies letztere hat sich die „materialistische Geschichtsauf-
fassung“ bisher anzuerkennen gesträubt. Vergeblich, wie mir
scheint, denn die Konsequenz der Sache treibt mit unwider-
stehlichem Zwange dahin, und in vereinzelter richtigerer Ein-
sicht wird es auch oft genug, stillschweigend oder ausdrück-
lich, anerkannt. Das ausschliessliche Bauen auf die materialen
Faktoren zeigt sich in der Durchführung sofort unhaltbar.
Möchte immerhin der Anstoss zur sozialen Entwicklung stets
von veränderten technischen Bedingungen gemeinschaftlicher
Arbeit ausgehen, so beruht doch erstens der Fortschritt der

*) So erwartet Stammler (im Schluss, S. 634 ff.) den Anbruch einer
Aera des objektiv Richtigen“ im praktischen Erkennen, wie sie
für das theoretische längst angebrochen sei. Wo sich nur von neuem die
Frage aufdrängt, ob nicht zwischen beiden ein zwingender
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[165/0181] zielen. Beides wirkt in voller Uebereinstimmung mit immer unentrinnbarerem Zwang in der Richtung fortschreitender so- zialer Konzentration zunächst der wirtschaftlichen Thätig- keit. Dadurch aber erhöht sich nicht nur der technische Er- folg jeder gemeinschaftlich und im Sinne erhöhter Gemein- schaftlichkeit geregelten Arbeit, und befestigt sich damit um so mehr die Tendenz zur Gemeinschaft, sondern es muss sich zugleich das Bewusstsein der Beteiligten über den blinden Drang der täglichen Notdurft und augenblicklichen Behaup- tung im Kriege aller gegen alle um die soziale Existenz mehr und mehr erheben; es muss immer klarer werden, dass von der Herrschaft des Bewusstseins für den Menschen schliesslich nicht weniger als alles abhängt, und es muss so das Verlangen entstehen und allgemein werden nach durchgängig vernunftgemässer Regelung der sozialen Thätigkeit auf Grund sicherer wissenschaftlicher Erkenntnis der technischen (naturtechnischen wie sozialtechnischen) Bedingungen eines menschlichen Daseins auf Erden; dazu aber werden die drei Grundformen sozialer Thätigkeit, die wirtschaftliche, regierende und bildende, in der Art zusammenwirken müssen, dass der letztbestimmende Faktor der des Bewusstseins, mithin die bil- dende Thätigkeit ist. *) Dies letztere hat sich die „materialistische Geschichtsauf- fassung“ bisher anzuerkennen gesträubt. Vergeblich, wie mir scheint, denn die Konsequenz der Sache treibt mit unwider- stehlichem Zwange dahin, und in vereinzelter richtigerer Ein- sicht wird es auch oft genug, stillschweigend oder ausdrück- lich, anerkannt. Das ausschliessliche Bauen auf die materialen Faktoren zeigt sich in der Durchführung sofort unhaltbar. Möchte immerhin der Anstoss zur sozialen Entwicklung stets von veränderten technischen Bedingungen gemeinschaftlicher Arbeit ausgehen, so beruht doch erstens der Fortschritt der *) So erwartet Stammler (im Schluss, S. 634 ff.) den Anbruch einer „Aera des objektiv Richtigen“ im praktischen Erkennen, wie sie für das theoretische längst angebrochen sei. Wo sich nur von neuem die Frage aufdrängt, ob nicht zwischen beiden ein zwingender Zusammenhang obwalten muss?

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/181>, abgerufen am 04.12.2024.