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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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sachen des wirtschaftlichen Lebens sich verständlich machen
lassen.

Man hat auch wohl als Zweck der Wirtschaft bezeichnet
die Erhaltung der Existenz oder die Ernährung. Das
kann leicht in zu engem oder aber in zu weitem Sinne ver-
standen werden. Wäre die Ernährung streng nur in physischer
Bedeutung gemeint, so wäre der Begriff der Wirtschaft damit
viel zu eng bestimmt; denn der Zweck der Wirtschaft geht
unermesslich weit hinaus über die Produktion dessen, was zum
Leben im physischen Sinne notwendig ist, ja auch über das,
was, sei's auch zum Genuss und Ueberfluss, konsumiert wird.
Würde hingegen unter der "menschlichen" Existenz die Be-
friedigung jedwedes menschlichen Bedürfnisses mitverstanden,
und sollte also diese, so schlechthin, als Zweck der Wirtschaft
gelten, so ist die Bestimmung viel zu weit. Denn auch die
regierende, auch die bildende, überhaupt jede menschliche
Thätigkeit befriedigt irgend welche menschlichen Bedürfnisse,
aber es wäre darum doch unzulässig, jede menschliche Thätig-
keit wirtschaftlich zu nennen; sie fällt vielmehr nur, neben
und ausser ihrem je eigentümlichen Zweck, auch unter wirt-
schaftliche Erwägung, nämlich insofern sie einen geregelten
Ersatz der je verbrauchten Triebkräfte erfordert. Dies freilich
gilt beinahe von jeder menschlichen Thätigkeit, aber eben nur
in dieser einzigen Hinsicht. Nicht also, dass man lebt, oder
dass man irgend welche menschlichen Zwecke verfolgt, sondern
dass man, um zu leben und in Verfolgung irgend welcher
Zwecke, arbeiten, d. i. Triebkraft einsetzen, mithin auch
für deren Ersatz Vorsorge treffen muss, das allein ist es, was
den Begriff Wirtschaft begründet.

Andrerseits gehört zur wirtschaftlichen Thätigkeit, ihrer
technischen Begründung zufolge, ohne Zweifel Willensregelung,
und unterliegt sie damit auch dem Urteil sittlicher Vernunft;
zumal es sich nicht bloss um Verwendung toter Naturkraft,
sondern der eigenen Kräfte des Menschen handelt. Insbesondere,
sofern die wirtschaftliche Arbeit soziale Arbeit ist, bedarf sie
der sozialen Regelung. So erhält der Begriff der Wirtschaft,
der an sich zwar dasselbe in Hinsicht der individualen wie

sachen des wirtschaftlichen Lebens sich verständlich machen
lassen.

Man hat auch wohl als Zweck der Wirtschaft bezeichnet
die Erhaltung der Existenz oder die Ernährung. Das
kann leicht in zu engem oder aber in zu weitem Sinne ver-
standen werden. Wäre die Ernährung streng nur in physischer
Bedeutung gemeint, so wäre der Begriff der Wirtschaft damit
viel zu eng bestimmt; denn der Zweck der Wirtschaft geht
unermesslich weit hinaus über die Produktion dessen, was zum
Leben im physischen Sinne notwendig ist, ja auch über das,
was, sei’s auch zum Genuss und Ueberfluss, konsumiert wird.
Würde hingegen unter der „menschlichen“ Existenz die Be-
friedigung jedwedes menschlichen Bedürfnisses mitverstanden,
und sollte also diese, so schlechthin, als Zweck der Wirtschaft
gelten, so ist die Bestimmung viel zu weit. Denn auch die
regierende, auch die bildende, überhaupt jede menschliche
Thätigkeit befriedigt irgend welche menschlichen Bedürfnisse,
aber es wäre darum doch unzulässig, jede menschliche Thätig-
keit wirtschaftlich zu nennen; sie fällt vielmehr nur, neben
und ausser ihrem je eigentümlichen Zweck, auch unter wirt-
schaftliche Erwägung, nämlich insofern sie einen geregelten
Ersatz der je verbrauchten Triebkräfte erfordert. Dies freilich
gilt beinahe von jeder menschlichen Thätigkeit, aber eben nur
in dieser einzigen Hinsicht. Nicht also, dass man lebt, oder
dass man irgend welche menschlichen Zwecke verfolgt, sondern
dass man, um zu leben und in Verfolgung irgend welcher
Zwecke, arbeiten, d. i. Triebkraft einsetzen, mithin auch
für deren Ersatz Vorsorge treffen muss, das allein ist es, was
den Begriff Wirtschaft begründet.

Andrerseits gehört zur wirtschaftlichen Thätigkeit, ihrer
technischen Begründung zufolge, ohne Zweifel Willensregelung,
und unterliegt sie damit auch dem Urteil sittlicher Vernunft;
zumal es sich nicht bloss um Verwendung toter Naturkraft,
sondern der eigenen Kräfte des Menschen handelt. Insbesondere,
sofern die wirtschaftliche Arbeit soziale Arbeit ist, bedarf sie
der sozialen Regelung. So erhält der Begriff der Wirtschaft,
der an sich zwar dasselbe in Hinsicht der individualen wie

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[152/0168] sachen des wirtschaftlichen Lebens sich verständlich machen lassen. Man hat auch wohl als Zweck der Wirtschaft bezeichnet die Erhaltung der Existenz oder die Ernährung. Das kann leicht in zu engem oder aber in zu weitem Sinne ver- standen werden. Wäre die Ernährung streng nur in physischer Bedeutung gemeint, so wäre der Begriff der Wirtschaft damit viel zu eng bestimmt; denn der Zweck der Wirtschaft geht unermesslich weit hinaus über die Produktion dessen, was zum Leben im physischen Sinne notwendig ist, ja auch über das, was, sei’s auch zum Genuss und Ueberfluss, konsumiert wird. Würde hingegen unter der „menschlichen“ Existenz die Be- friedigung jedwedes menschlichen Bedürfnisses mitverstanden, und sollte also diese, so schlechthin, als Zweck der Wirtschaft gelten, so ist die Bestimmung viel zu weit. Denn auch die regierende, auch die bildende, überhaupt jede menschliche Thätigkeit befriedigt irgend welche menschlichen Bedürfnisse, aber es wäre darum doch unzulässig, jede menschliche Thätig- keit wirtschaftlich zu nennen; sie fällt vielmehr nur, neben und ausser ihrem je eigentümlichen Zweck, auch unter wirt- schaftliche Erwägung, nämlich insofern sie einen geregelten Ersatz der je verbrauchten Triebkräfte erfordert. Dies freilich gilt beinahe von jeder menschlichen Thätigkeit, aber eben nur in dieser einzigen Hinsicht. Nicht also, dass man lebt, oder dass man irgend welche menschlichen Zwecke verfolgt, sondern dass man, um zu leben und in Verfolgung irgend welcher Zwecke, arbeiten, d. i. Triebkraft einsetzen, mithin auch für deren Ersatz Vorsorge treffen muss, das allein ist es, was den Begriff Wirtschaft begründet. Andrerseits gehört zur wirtschaftlichen Thätigkeit, ihrer technischen Begründung zufolge, ohne Zweifel Willensregelung, und unterliegt sie damit auch dem Urteil sittlicher Vernunft; zumal es sich nicht bloss um Verwendung toter Naturkraft, sondern der eigenen Kräfte des Menschen handelt. Insbesondere, sofern die wirtschaftliche Arbeit soziale Arbeit ist, bedarf sie der sozialen Regelung. So erhält der Begriff der Wirtschaft, der an sich zwar dasselbe in Hinsicht der individualen wie

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/168>, abgerufen am 29.11.2024.