gen waren ruhige gefolgt; aber immer war Klärchen gleich aufmerksam und liebenswürdig, und die Genera¬ lin versicherte ihre Freundinnen, eine ausgezeichnete Kamm erjungfer zu haben, was ihr gern geglaubt wurde, da Klärchen ja gegen Jederman sich liebens¬ würdig zeigte. Nur schien es, als ob sie seit einiger Zeit etwas zerstreuter wäre und oft nicht ganz unbe¬ fangen aus den Augen sähe; doch tröstete sich die Generalin mit ihrer übertriebenen Angst vor Liebesge¬ schichten und ließ sich nichts merken, und Weihnachten ward Klärchen außerordentlich reich bedacht. Das war aber auch gut, denn Klärchen gebrauchte viel. Sie sah so manches bei den vornehmen Damen, das ihr gefiel und das sie haben mußte. So bemerkte sie mit Erstaunen, als sie ihre Schulden überschlug, daß vom Lohn und vom Louisdo'r kaum etwas für ihre Mutter übrig blieb. Sie tröstete sich aber bald. Al¬ ler Anfang ist schwer, dachte sie, für Wäsche wird ein andermal gesorgt; hatte sie doch den unächten Shawl, die Brosche und den Sammethut sich wirklich angeschafft! Doch sollte das alte Jahr nicht hingehen um sie nicht ganz und gar von diesen kleinlichen Sor¬ gen zu befreien. Als sie am Sylvesterabend von einer Besorgung in der Dämmerung zurückkam, sah sie eine wartende Gestalt unten im Hausflur. Sie erkannte bald den Mediziner. Sie hatte hier öfters mit ihm flüch¬ tige Worte gewechselt, seit einiger Zeit hatten sie sich nie allein gefunden, und auch heute waren Schritte auf der Treppe hörbar. Er kam eilig auf sie zu, drückte ihr einen Brief in die Hand und eilte die Treppe voran. Klärchen konnte nicht schnell genug ihr Lämpchen anstecken, um dies Dokument zu lesen,
gen waren ruhige gefolgt; aber immer war Klärchen gleich aufmerkſam und liebenswürdig, und die Genera¬ lin verſicherte ihre Freundinnen, eine ausgezeichnete Kamm erjungfer zu haben, was ihr gern geglaubt wurde, da Klärchen ja gegen Jederman ſich liebens¬ würdig zeigte. Nur ſchien es, als ob ſie ſeit einiger Zeit etwas zerſtreuter wäre und oft nicht ganz unbe¬ fangen aus den Augen ſähe; doch tröſtete ſich die Generalin mit ihrer übertriebenen Angſt vor Liebesge¬ ſchichten und ließ ſich nichts merken, und Weihnachten ward Klärchen außerordentlich reich bedacht. Das war aber auch gut, denn Klärchen gebrauchte viel. Sie ſah ſo manches bei den vornehmen Damen, das ihr gefiel und das ſie haben mußte. So bemerkte ſie mit Erſtaunen, als ſie ihre Schulden überſchlug, daß vom Lohn und vom Louisdo'r kaum etwas für ihre Mutter übrig blieb. Sie tröſtete ſich aber bald. Al¬ ler Anfang iſt ſchwer, dachte ſie, für Wäſche wird ein andermal geſorgt; hatte ſie doch den unächten Shawl, die Broſche und den Sammethut ſich wirklich angeſchafft! Doch ſollte das alte Jahr nicht hingehen um ſie nicht ganz und gar von dieſen kleinlichen Sor¬ gen zu befreien. Als ſie am Sylveſterabend von einer Beſorgung in der Dämmerung zurückkam, ſah ſie eine wartende Geſtalt unten im Hausflur. Sie erkannte bald den Mediziner. Sie hatte hier öfters mit ihm flüch¬ tige Worte gewechſelt, ſeit einiger Zeit hatten ſie ſich nie allein gefunden, und auch heute waren Schritte auf der Treppe hörbar. Er kam eilig auf ſie zu, drückte ihr einen Brief in die Hand und eilte die Treppe voran. Klärchen konnte nicht ſchnell genug ihr Lämpchen anſtecken, um dies Dokument zu leſen,
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gen waren ruhige gefolgt; aber immer war Klärchen
gleich aufmerkſam und liebenswürdig, und die Genera¬
lin verſicherte ihre Freundinnen, eine ausgezeichnete
Kamm erjungfer zu haben, was ihr gern geglaubt
wurde, da Klärchen ja gegen Jederman ſich liebens¬
würdig zeigte. Nur ſchien es, als ob ſie ſeit einiger
Zeit etwas zerſtreuter wäre und oft nicht ganz unbe¬
fangen aus den Augen ſähe; doch tröſtete ſich die
Generalin mit ihrer übertriebenen Angſt vor Liebesge¬
ſchichten und ließ ſich nichts merken, und Weihnachten
ward Klärchen außerordentlich reich bedacht. Das
war aber auch gut, denn Klärchen gebrauchte viel.
Sie ſah ſo manches bei den vornehmen Damen, das
ihr gefiel und das ſie haben mußte. So bemerkte ſie
mit Erſtaunen, als ſie ihre Schulden überſchlug, daß
vom Lohn und vom Louisdo'r kaum etwas für ihre
Mutter übrig blieb. Sie tröſtete ſich aber bald. Al¬
ler Anfang iſt ſchwer, dachte ſie, für Wäſche wird
ein andermal geſorgt; hatte ſie doch den unächten
Shawl, die Broſche und den Sammethut ſich wirklich
angeſchafft! Doch ſollte das alte Jahr nicht hingehen
um ſie nicht ganz und gar von dieſen kleinlichen Sor¬
gen zu befreien. Als ſie am Sylveſterabend von einer
Beſorgung in der Dämmerung zurückkam, ſah ſie eine
wartende Geſtalt unten im Hausflur. Sie erkannte bald
den Mediziner. Sie hatte hier öfters mit ihm flüch¬
tige Worte gewechſelt, ſeit einiger Zeit hatten ſie ſich
nie allein gefunden, und auch heute waren Schritte
auf der Treppe hörbar. Er kam eilig auf ſie zu,
drückte ihr einen Brief in die Hand und eilte die
Treppe voran. Klärchen konnte nicht ſchnell genug
ihr Lämpchen anſtecken, um dies Dokument zu leſen,
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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/40>, abgerufen am 16.07.2024.
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