Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.kam ihm die Ersehnte wirklich entgegen. Es war ja kam ihm die Erſehnte wirklich entgegen. Es war ja <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0028" n="22"/> kam ihm die Erſehnte wirklich entgegen. Es war ja<lb/> noch daſſelbe Kindergeſicht, nur die Geſtalt war auf¬<lb/> geſchoſſen und hatte ſich jungfräulich entfaltet. Er<lb/> grüßte ſie und ſein Herz ſchlug vor Glück, aber nur<lb/> wenige Augenblicke. Er ſah die Schaar Studenten<lb/> hinter ihr umkehren, er hörte ihre Witze und ſah ſie<lb/> den Mädchen nachfolgen. Es würde ihm nie einge¬<lb/> fallen ſein, ebenfalls umzukehren; aber Spannung<lb/> und Zorn trieben ihn. Im Nothfall wollte er die Mäd¬<lb/> chen ſchützen, er ahnete nicht, daß ſie durch das Nach¬<lb/> folgen der Studenten mehr erfreut als geängſtigt wür¬<lb/> den. Doch bald ſollte er ſich von der Wahrheit über¬<lb/> zeugen. Er ſaß ihnen gegenüber und beobachtete der<lb/> Mädchen leichtfertiges Spiel. Klärchen ſpielte die<lb/> Hauptrolle dabei, bis ſie ihn endlich durch ihre ver¬<lb/> ächtlichen und erzürnten Blicke forttrieb. Mit welchen<lb/> Gefühlen ging er nun nach Hauſe! Das Geſchehene<lb/> zerſtörte zu hart ſeines Herzens Pläne. Die Freude<lb/> an der Heimath, an der Meiſterſchaft, an Haus und<lb/> Hof war zertrümmert; er hätte am liebſten den Wan¬<lb/> derſtab wieder in die Hand genommen. In dieſer<lb/> Stimmung konnte er unmöglich zu Frau Bendler ge¬<lb/> hen, nicht einmal in die Stube zum Vater; er ging<lb/> leiſe an dem Dienſtmädchen, die feiernd in der Haus¬<lb/> thür ſaß, vorüber nach dem Garten und ſetzte ſich in<lb/> die Weinlaube an der Scheunenwand. Der Nachbars¬<lb/> garten, der nur durch ein Stacket getrennt, war leer.<lb/> Das war ihm gerade recht, und ungeſtört konnte er<lb/> ſeinen Gedanken nachhängen. Wie war die Welt heut<lb/> ganz anders als geſtern! Die verwilderten Roſen und<lb/> Goldveiglein hatten ihn geſtern ſo traulich und heim¬<lb/></p> </body> </text> </TEI> [22/0028]
kam ihm die Erſehnte wirklich entgegen. Es war ja
noch daſſelbe Kindergeſicht, nur die Geſtalt war auf¬
geſchoſſen und hatte ſich jungfräulich entfaltet. Er
grüßte ſie und ſein Herz ſchlug vor Glück, aber nur
wenige Augenblicke. Er ſah die Schaar Studenten
hinter ihr umkehren, er hörte ihre Witze und ſah ſie
den Mädchen nachfolgen. Es würde ihm nie einge¬
fallen ſein, ebenfalls umzukehren; aber Spannung
und Zorn trieben ihn. Im Nothfall wollte er die Mäd¬
chen ſchützen, er ahnete nicht, daß ſie durch das Nach¬
folgen der Studenten mehr erfreut als geängſtigt wür¬
den. Doch bald ſollte er ſich von der Wahrheit über¬
zeugen. Er ſaß ihnen gegenüber und beobachtete der
Mädchen leichtfertiges Spiel. Klärchen ſpielte die
Hauptrolle dabei, bis ſie ihn endlich durch ihre ver¬
ächtlichen und erzürnten Blicke forttrieb. Mit welchen
Gefühlen ging er nun nach Hauſe! Das Geſchehene
zerſtörte zu hart ſeines Herzens Pläne. Die Freude
an der Heimath, an der Meiſterſchaft, an Haus und
Hof war zertrümmert; er hätte am liebſten den Wan¬
derſtab wieder in die Hand genommen. In dieſer
Stimmung konnte er unmöglich zu Frau Bendler ge¬
hen, nicht einmal in die Stube zum Vater; er ging
leiſe an dem Dienſtmädchen, die feiernd in der Haus¬
thür ſaß, vorüber nach dem Garten und ſetzte ſich in
die Weinlaube an der Scheunenwand. Der Nachbars¬
garten, der nur durch ein Stacket getrennt, war leer.
Das war ihm gerade recht, und ungeſtört konnte er
ſeinen Gedanken nachhängen. Wie war die Welt heut
ganz anders als geſtern! Die verwilderten Roſen und
Goldveiglein hatten ihn geſtern ſo traulich und heim¬
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