Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.Am nächsten Sonntag ging sie zuerst in die Ste¬ Nach der Kirche rüstete sie sich zu ihrem ersten Die Generalin war indessen sehr schwankend, ob 9
Am nächſten Sonntag ging ſie zuerſt in die Ste¬ Nach der Kirche rüſtete ſie ſich zu ihrem erſten Die Generalin war indeſſen ſehr ſchwankend, ob 9
<TEI> <text> <body> <pb facs="#f0135" n="129"/> <p>Am nächſten Sonntag ging ſie zuerſt in die Ste¬<lb/> phani-Kirche. Ihr Herz war voll ſeliger Dankbarkeit<lb/> und voll heißen Gebetes. Das war ein ſegensreicher<lb/> Morgen. Sie konnte getroſt dem Herrn nahen und er¬<lb/> wartete ihren Frieden nicht mehr von äußerem Wohl¬<lb/> ergehen, ſondern nur in der Gnade und Liebe des<lb/> treuen Herrn.</p><lb/> <p>Nach der Kirche rüſtete ſie ſich zu ihrem erſten<lb/> Gang in die Stadt. Es war ein ſchwerer Gang. Sie<lb/> ſagte Niemandem wohin, ſie ging zur Generalin. Dieſe<lb/> Frau, gegen die ſie ſich am ſchwerſten vergangen, de¬<lb/> ren Güte und Freundlichkeit ſie mit ſchmählichem Un¬<lb/> dank belohnt hatte, mußte ſie um Verzeihung bitten.<lb/> Mit klopfendem Herzen ſtieg ſie die Treppe hinauf, zog<lb/> ſie die Klingel. Der alte Bediente, der ihr eigentlich<lb/> immer gut Freund geweſen, machte ihr jetzt durch ſei¬<lb/> nen freundlichen Gruß den beſten Muth. Als er ging,<lb/> ſie zu melden, ſtand ſie allein in dem ihr wohlbekann¬<lb/> ten Vorzimmerchen. Der Nähtiſch, vor dem ſie ſo<lb/> oft geſeſſen, ſtand noch an demſelben Platz, der wohl¬<lb/> bekannte Arbeitskorb darauf. Sie ſah ſich dort im<lb/> Geiſte ſitzen mit all ihrer Eitelkeit, mit ihren tollen<lb/> Gedanken und wunderlichen Plänen für die Zukunft.<lb/> Ein ſchnelles Roth flog über ihre Wangen. Wie ſchämte<lb/> ſie ſich der Vergangenheit, wie ſchnell hatte ſich die<lb/> Zukunft ſtrafend für ſie enthüllt, wie bangte ihr vor<lb/> den ernſten Worten der Generalin, und wie trieb es<lb/> ſie doch wieder, ihr Herz zu erleichtern!</p><lb/> <p>Die Generalin war indeſſen ſehr ſchwankend, ob<lb/> ſie Klärchen annehmen ſollte oder nicht. Sie hatte<lb/> von ihrem Schickſale gehört, fand es wohl verdient<lb/> <fw place="bottom" type="sig">9<lb/></fw> </p> </body> </text> </TEI> [129/0135]
Am nächſten Sonntag ging ſie zuerſt in die Ste¬
phani-Kirche. Ihr Herz war voll ſeliger Dankbarkeit
und voll heißen Gebetes. Das war ein ſegensreicher
Morgen. Sie konnte getroſt dem Herrn nahen und er¬
wartete ihren Frieden nicht mehr von äußerem Wohl¬
ergehen, ſondern nur in der Gnade und Liebe des
treuen Herrn.
Nach der Kirche rüſtete ſie ſich zu ihrem erſten
Gang in die Stadt. Es war ein ſchwerer Gang. Sie
ſagte Niemandem wohin, ſie ging zur Generalin. Dieſe
Frau, gegen die ſie ſich am ſchwerſten vergangen, de¬
ren Güte und Freundlichkeit ſie mit ſchmählichem Un¬
dank belohnt hatte, mußte ſie um Verzeihung bitten.
Mit klopfendem Herzen ſtieg ſie die Treppe hinauf, zog
ſie die Klingel. Der alte Bediente, der ihr eigentlich
immer gut Freund geweſen, machte ihr jetzt durch ſei¬
nen freundlichen Gruß den beſten Muth. Als er ging,
ſie zu melden, ſtand ſie allein in dem ihr wohlbekann¬
ten Vorzimmerchen. Der Nähtiſch, vor dem ſie ſo
oft geſeſſen, ſtand noch an demſelben Platz, der wohl¬
bekannte Arbeitskorb darauf. Sie ſah ſich dort im
Geiſte ſitzen mit all ihrer Eitelkeit, mit ihren tollen
Gedanken und wunderlichen Plänen für die Zukunft.
Ein ſchnelles Roth flog über ihre Wangen. Wie ſchämte
ſie ſich der Vergangenheit, wie ſchnell hatte ſich die
Zukunft ſtrafend für ſie enthüllt, wie bangte ihr vor
den ernſten Worten der Generalin, und wie trieb es
ſie doch wieder, ihr Herz zu erleichtern!
Die Generalin war indeſſen ſehr ſchwankend, ob
ſie Klärchen annehmen ſollte oder nicht. Sie hatte
von ihrem Schickſale gehört, fand es wohl verdient
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