Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.nerer Schaam. Wie ganz anders dachte sie jetzt über Aber es sollte anders sein. Klärchens noch zarte nerer Schaam. Wie ganz anders dachte ſie jetzt über Aber es ſollte anders ſein. Klärchens noch zarte <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0131" n="125"/> nerer Schaam. Wie ganz anders dachte ſie jetzt über<lb/> den Grafen, dieſen leichtfertigen, wortbrüchigen Men¬<lb/> ſchen, der ſie beinahe in den Abgrund getaumelt. Ja,<lb/> ſie fühlte ſo etwas wie Fügung Gottes, daß ſie vor<lb/> noch tieferem Fall und äußerſter Schande bewahrt ge¬<lb/> blieben. Mit welchem Leichtſinn aber hatte ſie ſich<lb/> ihrem Manne in die Arme geworfen! Sie hatte ge¬<lb/> wußt, daß er leichtfertig, ja ſie zweifelte eigentlich<lb/> nicht an der Tante Ausſage, daß er ſchlecht und herz¬<lb/> los ſei; aber ſie meinte damals, wenn es ihr äußer¬<lb/> lich wohl ginge, wäre ſie glücklich. Und wie unglück¬<lb/> lich und troſtlos hatte ſie ſich an ſeiner Seite gefühlt,<lb/> wie war jetzt ihre ganze Zukunft zerſtört! Ob dir der<lb/> liebe Gott dennoch helfen könnte? kam ihr ein heller<lb/> Gedanke in der Nacht ihres Herzens. Die Tante hatte<lb/> oft geſagt: Aeußere Noth iſt kein Unglück, der Herr<lb/> kann uns dabei doch Frieden und Freude ſchenken.<lb/> Sie ſchaute auf ihr Gretchen, das ſo ſanft in der<lb/> Wiege ſchlief, und fühlte eine Ahnung höherer Freude,<lb/> als alle irdiſchen Genüſſe ihr bis jetzt geboten. Für<lb/> das Kind leben, arbeiten, das ſoll mein Troſt ſein!<lb/> O wie ſüß es jetzt ſeine Aermchen ſtreckte und dehnte<lb/> und ſeine Aeuglein aufthat! Klärchen nahm das Kind<lb/> an ihre Bruſt und vergaß allen Kummer. Sie nahm<lb/> ſich vor, alle Schaam zu überwinden und morgen<lb/> gleich neue Kundſchaft als Schneiderin zu ſuchen, die<lb/> dreißig Thaler wollte ſie ſparen und für Nothfälle auf¬<lb/> heben, damit es ihrem Kinde nie am Nöthigſten ge¬<lb/> bräche.</p><lb/> <p>Aber es ſollte anders ſein. Klärchens noch zarte<lb/> Geſundheit war von den letzten Stürmen ſo erſchüt¬<lb/></p> </body> </text> </TEI> [125/0131]
nerer Schaam. Wie ganz anders dachte ſie jetzt über
den Grafen, dieſen leichtfertigen, wortbrüchigen Men¬
ſchen, der ſie beinahe in den Abgrund getaumelt. Ja,
ſie fühlte ſo etwas wie Fügung Gottes, daß ſie vor
noch tieferem Fall und äußerſter Schande bewahrt ge¬
blieben. Mit welchem Leichtſinn aber hatte ſie ſich
ihrem Manne in die Arme geworfen! Sie hatte ge¬
wußt, daß er leichtfertig, ja ſie zweifelte eigentlich
nicht an der Tante Ausſage, daß er ſchlecht und herz¬
los ſei; aber ſie meinte damals, wenn es ihr äußer¬
lich wohl ginge, wäre ſie glücklich. Und wie unglück¬
lich und troſtlos hatte ſie ſich an ſeiner Seite gefühlt,
wie war jetzt ihre ganze Zukunft zerſtört! Ob dir der
liebe Gott dennoch helfen könnte? kam ihr ein heller
Gedanke in der Nacht ihres Herzens. Die Tante hatte
oft geſagt: Aeußere Noth iſt kein Unglück, der Herr
kann uns dabei doch Frieden und Freude ſchenken.
Sie ſchaute auf ihr Gretchen, das ſo ſanft in der
Wiege ſchlief, und fühlte eine Ahnung höherer Freude,
als alle irdiſchen Genüſſe ihr bis jetzt geboten. Für
das Kind leben, arbeiten, das ſoll mein Troſt ſein!
O wie ſüß es jetzt ſeine Aermchen ſtreckte und dehnte
und ſeine Aeuglein aufthat! Klärchen nahm das Kind
an ihre Bruſt und vergaß allen Kummer. Sie nahm
ſich vor, alle Schaam zu überwinden und morgen
gleich neue Kundſchaft als Schneiderin zu ſuchen, die
dreißig Thaler wollte ſie ſparen und für Nothfälle auf¬
heben, damit es ihrem Kinde nie am Nöthigſten ge¬
bräche.
Aber es ſollte anders ſein. Klärchens noch zarte
Geſundheit war von den letzten Stürmen ſo erſchüt¬
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