Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.noch zorniger, als er erfuhr, daß der Betrüger ihm Klärchen saß wieder in der kleinen Stube ihrer noch zorniger, als er erfuhr, daß der Betrüger ihm Klärchen ſaß wieder in der kleinen Stube ihrer <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0129" n="123"/> noch zorniger, als er erfuhr, daß der Betrüger ihm<lb/> entgangen ſei, und fragte Klärchen mit beißenden Wor¬<lb/> ten, was ſie zu dem Vorſchlag ſage. Dieſe erklärte,<lb/> ſie wolle lieber mit ihrem Kinde verhungern, als dem<lb/> Manne folgen. Als Herr Reinhard merkte, daß Klär¬<lb/> chen ganz unwiſſend in der Sache ſei, als er ihren<lb/> Schmerz darüber ſah, ward er etwas milder gegen ſie<lb/> geſtimmt, aber die Wohnung mußte ſie räumen und<lb/> die ganze Einrichtung ihres Haushaltes zurücklaſſen,<lb/> denn ſie konnte nicht leugnen, daß Günther Alles an¬<lb/> geſchafft hatte; nur ihre eigenen Kleidungsſtücke und<lb/> Leibwäſche, das Bettchen und Zeug des Kindes nebſt<lb/> einigen Kleinigkeiten wurden ihr mitzunehmen erlaubt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Klärchen ſaß wieder in der kleinen Stube ihrer<lb/> Mutter. Die zwei Jahre ihrer Abweſenheit waren ihr<lb/> wie ein Traum, ein Traum, der in Luſt und Herr¬<lb/> lichkeit begonnen und geendet in Jammer und Noth.<lb/> Dem ſchwülen Tage war ein Gewitter gefolgt, das<lb/> jetzt in einen leiſen Landregen endete. Die Mutter<lb/> war trotz des Regens ausgegangen, um Einkäufe zu<lb/> machen, denn ihr Haus war ganz leer; und ſeitdem<lb/> ihr Klärchen die 30 Thaler im Nähkäſtchen gezeigt,<lb/> war ſie guten Muthes. Sie lebte nur in der Gegen¬<lb/> wart und ſagte, wenn es ihr gut ging: der liebe<lb/> Gott wird weiter ſorgen. Denn ſie führte den lieben<lb/> Gott wenigſtens im Munde, wenn ſie ihn auch nicht im<lb/> Herzen hatte. Klärchen war nicht guten Muthes, ſie<lb/> ſaß in der dämmernden Stube am Fenſter, ſah auf<lb/> die grauen, naßgewaſchenen Häuſer und auf die fal¬<lb/></p> </body> </text> </TEI> [123/0129]
noch zorniger, als er erfuhr, daß der Betrüger ihm
entgangen ſei, und fragte Klärchen mit beißenden Wor¬
ten, was ſie zu dem Vorſchlag ſage. Dieſe erklärte,
ſie wolle lieber mit ihrem Kinde verhungern, als dem
Manne folgen. Als Herr Reinhard merkte, daß Klär¬
chen ganz unwiſſend in der Sache ſei, als er ihren
Schmerz darüber ſah, ward er etwas milder gegen ſie
geſtimmt, aber die Wohnung mußte ſie räumen und
die ganze Einrichtung ihres Haushaltes zurücklaſſen,
denn ſie konnte nicht leugnen, daß Günther Alles an¬
geſchafft hatte; nur ihre eigenen Kleidungsſtücke und
Leibwäſche, das Bettchen und Zeug des Kindes nebſt
einigen Kleinigkeiten wurden ihr mitzunehmen erlaubt.
Klärchen ſaß wieder in der kleinen Stube ihrer
Mutter. Die zwei Jahre ihrer Abweſenheit waren ihr
wie ein Traum, ein Traum, der in Luſt und Herr¬
lichkeit begonnen und geendet in Jammer und Noth.
Dem ſchwülen Tage war ein Gewitter gefolgt, das
jetzt in einen leiſen Landregen endete. Die Mutter
war trotz des Regens ausgegangen, um Einkäufe zu
machen, denn ihr Haus war ganz leer; und ſeitdem
ihr Klärchen die 30 Thaler im Nähkäſtchen gezeigt,
war ſie guten Muthes. Sie lebte nur in der Gegen¬
wart und ſagte, wenn es ihr gut ging: der liebe
Gott wird weiter ſorgen. Denn ſie führte den lieben
Gott wenigſtens im Munde, wenn ſie ihn auch nicht im
Herzen hatte. Klärchen war nicht guten Muthes, ſie
ſaß in der dämmernden Stube am Fenſter, ſah auf
die grauen, naßgewaſchenen Häuſer und auf die fal¬
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