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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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rechtschaffen und fromm sein könnte, vielleicht ginge
es mir dann besser. Wie fange ich es aber an? Ich
weiß es nicht. Und ob mir der liebe Gott helfen
kann? ich weiß es auch nicht. Wer soll mir rathen?
Wenn ich an die Fastenpredigt denke, wird mir angst,
ich kann sie immer nicht vergessen, und kann mir doch
auch nicht helfen. -- Sie schlich sich aus dem Gar¬
ten, brach sich einige Weißdornzweige von der Hecke
und ging mit weichem Herzen und feuchten Augen
durch den dämmernden Abend. Morgen früh wollte
sie in die Stephani-Kirche gehen; und wenn sie auch
morgen keine Lust dazu haben sollte --, denn sie kannte
den Wechsel ihrer Stimmungen --, sie wollte doch gehen
und wenigstens dem lieben Gott dies Versprechen
halten.

Und sie hielt Wort und nahm ihren alten Platz
in der Stephani-Kirche ein. Der Prediger hielt dies¬
mal eine Frühlingspredigt, er schilderte so warm die
Liebe und Freundlichkeit des Herrn und die Schönheit
des Frühlings, und knüpfte daran den Frühling einer
Seele, die auch dem Herrn entgegenblüht und sprosst
und nur von seinem Segen und Gnadenschein Gedei¬
hen erwartet. Klärchen ward durch diese Predigt viel
getröstet und gestärkt. Der Herr ist sehr freundlich
und gütig gegen die Menschen, vielleicht erbarmt er
sich auch deiner und wendet noch das selbstverschul¬
dete Unglück von deinem Leben ab. Er ladet alle
Sünder ein, er wird auch dich nicht zurückstoßen!
Aber wie sollst du es anfangen, zu ihm zu kommen?
Und wie soll er dir helfen? -- Klärchen meinte,
wenn sie an Hülfe dachte, immer nur die äußere, sie

rechtſchaffen und fromm ſein könnte, vielleicht ginge
es mir dann beſſer. Wie fange ich es aber an? Ich
weiß es nicht. Und ob mir der liebe Gott helfen
kann? ich weiß es auch nicht. Wer ſoll mir rathen?
Wenn ich an die Faſtenpredigt denke, wird mir angſt,
ich kann ſie immer nicht vergeſſen, und kann mir doch
auch nicht helfen. — Sie ſchlich ſich aus dem Gar¬
ten, brach ſich einige Weißdornzweige von der Hecke
und ging mit weichem Herzen und feuchten Augen
durch den dämmernden Abend. Morgen früh wollte
ſie in die Stephani-Kirche gehen; und wenn ſie auch
morgen keine Luſt dazu haben ſollte —, denn ſie kannte
den Wechſel ihrer Stimmungen —, ſie wollte doch gehen
und wenigſtens dem lieben Gott dies Verſprechen
halten.

Und ſie hielt Wort und nahm ihren alten Platz
in der Stephani-Kirche ein. Der Prediger hielt dies¬
mal eine Frühlingspredigt, er ſchilderte ſo warm die
Liebe und Freundlichkeit des Herrn und die Schönheit
des Frühlings, und knüpfte daran den Frühling einer
Seele, die auch dem Herrn entgegenblüht und ſproſſt
und nur von ſeinem Segen und Gnadenſchein Gedei¬
hen erwartet. Klärchen ward durch dieſe Predigt viel
getröſtet und geſtärkt. Der Herr iſt ſehr freundlich
und gütig gegen die Menſchen, vielleicht erbarmt er
ſich auch deiner und wendet noch das ſelbſtverſchul¬
dete Unglück von deinem Leben ab. Er ladet alle
Sünder ein, er wird auch dich nicht zurückſtoßen!
Aber wie ſollſt du es anfangen, zu ihm zu kommen?
Und wie ſoll er dir helfen? — Klärchen meinte,
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[117/0123] rechtſchaffen und fromm ſein könnte, vielleicht ginge es mir dann beſſer. Wie fange ich es aber an? Ich weiß es nicht. Und ob mir der liebe Gott helfen kann? ich weiß es auch nicht. Wer ſoll mir rathen? Wenn ich an die Faſtenpredigt denke, wird mir angſt, ich kann ſie immer nicht vergeſſen, und kann mir doch auch nicht helfen. — Sie ſchlich ſich aus dem Gar¬ ten, brach ſich einige Weißdornzweige von der Hecke und ging mit weichem Herzen und feuchten Augen durch den dämmernden Abend. Morgen früh wollte ſie in die Stephani-Kirche gehen; und wenn ſie auch morgen keine Luſt dazu haben ſollte —, denn ſie kannte den Wechſel ihrer Stimmungen —, ſie wollte doch gehen und wenigſtens dem lieben Gott dies Verſprechen halten. Und ſie hielt Wort und nahm ihren alten Platz in der Stephani-Kirche ein. Der Prediger hielt dies¬ mal eine Frühlingspredigt, er ſchilderte ſo warm die Liebe und Freundlichkeit des Herrn und die Schönheit des Frühlings, und knüpfte daran den Frühling einer Seele, die auch dem Herrn entgegenblüht und ſproſſt und nur von ſeinem Segen und Gnadenſchein Gedei¬ hen erwartet. Klärchen ward durch dieſe Predigt viel getröſtet und geſtärkt. Der Herr iſt ſehr freundlich und gütig gegen die Menſchen, vielleicht erbarmt er ſich auch deiner und wendet noch das ſelbſtverſchul¬ dete Unglück von deinem Leben ab. Er ladet alle Sünder ein, er wird auch dich nicht zurückſtoßen! Aber wie ſollſt du es anfangen, zu ihm zu kommen? Und wie ſoll er dir helfen? — Klärchen meinte, wenn ſie an Hülfe dachte, immer nur die äußere, ſie

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/123>, abgerufen am 25.11.2024.