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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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Zucker nicht selbst zu holen. Aber heut hole ihn nur! --
Dabei legte er einen Fünfthalerschein auf den Tisch.--
Hole nur Alles, was zu einem feinen kalten Abend¬
brod nöthig ist, und dann sei eine vernünftige Frau.
Ich sehe nicht ein, -- wenn ich mich alle Tage vom
Morgen bis Abend quälen muß, will ich auch mein
Vergnügen haben. -- Ist denn das was so Schlim¬
mes, wenn es mal ein Paar Stunden drunter und
drüber geht? Sieh die Frau Rendantin an, die lacht,
wenn ihr Mann ein Bißchen angetrunken ist, läßt ihn
den Rausch ausschlafen und dann geht das Leben wie¬
der seinen gewöhnlichen Gang. Man ist darum kein
Trinker, aber bei besonderen Gelegenheiten sich an ei¬
nem Gläschen Wein erfreuen, ist wohl erlaubt.

Klärchen sah ein, wenn sie allen Zank und Streit
vermeiden wollte, müßte sie sich in diese Theorien fü¬
gen, und wollte es einmal in Güte versuchen. Auch
hatte die Mutter das Gespräch mit angehört, und
war ganz auf des Schwiegersohnes Seite. Klärchen
hat zu viel Romane gelesen, sagte sie weise, sie hat
sich vom Leben sonderbare Bilder gemacht, denkt alle
Menschen sollen Engel sein, und sie ist doch selbst
kein Engel. -- Günther stimmte lachend ein, und es
war sehr gute Stimmung im Haus.

Die Gäste kamen; erst ging es scheinbar sehr
fein und anständig her, doch Frauen und Männer
wurden gemüthlicher, dann lebhafter und lebhafter und
das neue Jahr ward mit tollem Lärmen begrüßt.

Nur Klärchen war schweigsam, so viel sie auch
von den Andern geneckt und gereizt ward. Sie gab
Unwohlsein vor, was in ihrem Zustande sehr glaub¬

Zucker nicht ſelbſt zu holen. Aber heut hole ihn nur! —
Dabei legte er einen Fünfthalerſchein auf den Tiſch.—
Hole nur Alles, was zu einem feinen kalten Abend¬
brod nöthig iſt, und dann ſei eine vernünftige Frau.
Ich ſehe nicht ein, — wenn ich mich alle Tage vom
Morgen bis Abend quälen muß, will ich auch mein
Vergnügen haben. — Iſt denn das was ſo Schlim¬
mes, wenn es mal ein Paar Stunden drunter und
drüber geht? Sieh die Frau Rendantin an, die lacht,
wenn ihr Mann ein Bißchen angetrunken iſt, läßt ihn
den Rauſch ausſchlafen und dann geht das Leben wie¬
der ſeinen gewöhnlichen Gang. Man iſt darum kein
Trinker, aber bei beſonderen Gelegenheiten ſich an ei¬
nem Gläschen Wein erfreuen, iſt wohl erlaubt.

Klärchen ſah ein, wenn ſie allen Zank und Streit
vermeiden wollte, müßte ſie ſich in dieſe Theorien fü¬
gen, und wollte es einmal in Güte verſuchen. Auch
hatte die Mutter das Geſpräch mit angehört, und
war ganz auf des Schwiegerſohnes Seite. Klärchen
hat zu viel Romane geleſen, ſagte ſie weiſe, ſie hat
ſich vom Leben ſonderbare Bilder gemacht, denkt alle
Menſchen ſollen Engel ſein, und ſie iſt doch ſelbſt
kein Engel. — Günther ſtimmte lachend ein, und es
war ſehr gute Stimmung im Haus.

Die Gäſte kamen; erſt ging es ſcheinbar ſehr
fein und anſtändig her, doch Frauen und Männer
wurden gemüthlicher, dann lebhafter und lebhafter und
das neue Jahr ward mit tollem Lärmen begrüßt.

Nur Klärchen war ſchweigſam, ſo viel ſie auch
von den Andern geneckt und gereizt ward. Sie gab
Unwohlſein vor, was in ihrem Zuſtande ſehr glaub¬

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[108/0114] Zucker nicht ſelbſt zu holen. Aber heut hole ihn nur! — Dabei legte er einen Fünfthalerſchein auf den Tiſch.— Hole nur Alles, was zu einem feinen kalten Abend¬ brod nöthig iſt, und dann ſei eine vernünftige Frau. Ich ſehe nicht ein, — wenn ich mich alle Tage vom Morgen bis Abend quälen muß, will ich auch mein Vergnügen haben. — Iſt denn das was ſo Schlim¬ mes, wenn es mal ein Paar Stunden drunter und drüber geht? Sieh die Frau Rendantin an, die lacht, wenn ihr Mann ein Bißchen angetrunken iſt, läßt ihn den Rauſch ausſchlafen und dann geht das Leben wie¬ der ſeinen gewöhnlichen Gang. Man iſt darum kein Trinker, aber bei beſonderen Gelegenheiten ſich an ei¬ nem Gläschen Wein erfreuen, iſt wohl erlaubt. Klärchen ſah ein, wenn ſie allen Zank und Streit vermeiden wollte, müßte ſie ſich in dieſe Theorien fü¬ gen, und wollte es einmal in Güte verſuchen. Auch hatte die Mutter das Geſpräch mit angehört, und war ganz auf des Schwiegerſohnes Seite. Klärchen hat zu viel Romane geleſen, ſagte ſie weiſe, ſie hat ſich vom Leben ſonderbare Bilder gemacht, denkt alle Menſchen ſollen Engel ſein, und ſie iſt doch ſelbſt kein Engel. — Günther ſtimmte lachend ein, und es war ſehr gute Stimmung im Haus. Die Gäſte kamen; erſt ging es ſcheinbar ſehr fein und anſtändig her, doch Frauen und Männer wurden gemüthlicher, dann lebhafter und lebhafter und das neue Jahr ward mit tollem Lärmen begrüßt. Nur Klärchen war ſchweigſam, ſo viel ſie auch von den Andern geneckt und gereizt ward. Sie gab Unwohlſein vor, was in ihrem Zuſtande ſehr glaub¬

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/114>, abgerufen am 24.11.2024.