Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Doppelkümmel herumhüpften, wie städti-
sche Petitmäters bey einem Kirchweyhtanze,
belebte die gesprächige Laune den Wirth und
die Gäste und die Unterredung wurde so
laut und tumultuarisch wie in einer Trink-
stube. Selbst der unsanguinische Ritter
empfand die wohlthätige Wirkung der gei-
stigen Getränke, und wurde so sanguinisch,
heiter und empfindsam, daß er in einer An-
wandelung von Menschenliebe, den Abhub
der Tafel in die Frohnveste schickte, um
die darbenden Delinquenten dadurch zu er-
quicken. Nur der Beamte Spörtler nahm
an alle dem keinen Antheil, war in tiefes
Nachdenken versunken, und vergaß in die-
sem Zustande des dumpfen festen Hinstau-
nens nicht nur Essen und Trinken, sondern
schien gar nicht zu bemerken was um und
neben ihm vorging; wär auch sicherlich wie
Sokrates in dem Feldzuge gegen Potidäa,
nach Bericht des Plato, vier und zwanzig

Stun-

Doppelkuͤmmel herumhuͤpften, wie ſtaͤdti-
ſche Petitmaͤters bey einem Kirchweyhtanze,
belebte die geſpraͤchige Laune den Wirth und
die Gaͤſte und die Unterredung wurde ſo
laut und tumultuariſch wie in einer Trink-
ſtube. Selbſt der unſanguiniſche Ritter
empfand die wohlthaͤtige Wirkung der gei-
ſtigen Getraͤnke, und wurde ſo ſanguiniſch,
heiter und empfindſam, daß er in einer An-
wandelung von Menſchenliebe, den Abhub
der Tafel in die Frohnveſte ſchickte, um
die darbenden Delinquenten dadurch zu er-
quicken. Nur der Beamte Spoͤrtler nahm
an alle dem keinen Antheil, war in tiefes
Nachdenken verſunken, und vergaß in die-
ſem Zuſtande des dumpfen feſten Hinſtau-
nens nicht nur Eſſen und Trinken, ſondern
ſchien gar nicht zu bemerken was um und
neben ihm vorging; waͤr auch ſicherlich wie
Sokrates in dem Feldzuge gegen Potidaͤa,
nach Bericht des Plato, vier und zwanzig

Stun-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0052" n="44"/>
Doppelku&#x0364;mmel herumhu&#x0364;pften, wie &#x017F;ta&#x0364;dti-<lb/>
&#x017F;che Petitma&#x0364;ters bey einem Kirchweyhtanze,<lb/>
belebte die ge&#x017F;pra&#x0364;chige Laune den Wirth und<lb/>
die Ga&#x0364;&#x017F;te und die Unterredung wurde &#x017F;o<lb/>
laut und tumultuari&#x017F;ch wie in einer Trink-<lb/>
&#x017F;tube. Selb&#x017F;t der un&#x017F;anguini&#x017F;che Ritter<lb/>
empfand die wohltha&#x0364;tige Wirkung der gei-<lb/>
&#x017F;tigen Getra&#x0364;nke, und wurde &#x017F;o &#x017F;anguini&#x017F;ch,<lb/>
heiter und empfind&#x017F;am, daß er in einer An-<lb/>
wandelung von Men&#x017F;chenliebe, den Abhub<lb/>
der Tafel in die Frohnve&#x017F;te &#x017F;chickte, um<lb/>
die darbenden Delinquenten dadurch zu er-<lb/>
quicken. Nur der Beamte Spo&#x0364;rtler nahm<lb/>
an alle dem keinen Antheil, war in tiefes<lb/>
Nachdenken ver&#x017F;unken, und vergaß in die-<lb/>
&#x017F;em Zu&#x017F;tande des dumpfen fe&#x017F;ten Hin&#x017F;tau-<lb/>
nens nicht nur E&#x017F;&#x017F;en und Trinken, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;chien gar nicht zu bemerken was um und<lb/>
neben ihm vorging; wa&#x0364;r auch &#x017F;icherlich wie<lb/>
Sokrates in dem Feldzuge gegen Potida&#x0364;a,<lb/>
nach Bericht des Plato, vier und zwanzig<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Stun-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0052] Doppelkuͤmmel herumhuͤpften, wie ſtaͤdti- ſche Petitmaͤters bey einem Kirchweyhtanze, belebte die geſpraͤchige Laune den Wirth und die Gaͤſte und die Unterredung wurde ſo laut und tumultuariſch wie in einer Trink- ſtube. Selbſt der unſanguiniſche Ritter empfand die wohlthaͤtige Wirkung der gei- ſtigen Getraͤnke, und wurde ſo ſanguiniſch, heiter und empfindſam, daß er in einer An- wandelung von Menſchenliebe, den Abhub der Tafel in die Frohnveſte ſchickte, um die darbenden Delinquenten dadurch zu er- quicken. Nur der Beamte Spoͤrtler nahm an alle dem keinen Antheil, war in tiefes Nachdenken verſunken, und vergaß in die- ſem Zuſtande des dumpfen feſten Hinſtau- nens nicht nur Eſſen und Trinken, ſondern ſchien gar nicht zu bemerken was um und neben ihm vorging; waͤr auch ſicherlich wie Sokrates in dem Feldzuge gegen Potidaͤa, nach Bericht des Plato, vier und zwanzig Stun-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/52
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/52>, abgerufen am 16.04.2024.