her ist die Ehre Gottes das Stichblatt aller Ränke und Thorheiten der Menschen ge- wesen, versteht sich aber nur von Anfa- chern, öffentlichen Heerposaunern oder ge- heimen Ohrenbläsern; der einfältige Leye geht immer ehrlich und aufrichtig zu Werke, und der Prätext der Meutmacher ist sein gutgemeinter Zweck. Darum wollt' ich mei- nem Wirth seinen Trost und Stolz, daß er gewissermassen die Märtyrerkrone trage, nicht rauben, sondern ließ ihn bey seiner Mei- nung. Hatte darüber doch so meine Speku- lation, dachte: die Catholici hatten vor in Dierdorf ein Kloster zu Ehren Gottes zu er- bauen, die Evangelici rissens zur Ehre Gottes wieder ein, da hieß es wohl mit Recht:
Wir glauben all an einen Gott, Und schlagen uns um Gotteswillen Einander Lendenlahm und todt, Um unsre Pflichten zu erfüllen.
Also lebt doch noch der wütige Enthusi- asmus in unserm toleranten Zeitalter zuwei-
len
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her iſt die Ehre Gottes das Stichblatt aller Raͤnke und Thorheiten der Menſchen ge- weſen, verſteht ſich aber nur von Anfa- chern, oͤffentlichen Heerpoſaunern oder ge- heimen Ohrenblaͤſern; der einfaͤltige Leye geht immer ehrlich und aufrichtig zu Werke, und der Praͤtext der Meutmacher iſt ſein gutgemeinter Zweck. Darum wollt’ ich mei- nem Wirth ſeinen Troſt und Stolz, daß er gewiſſermaſſen die Maͤrtyrerkrone trage, nicht rauben, ſondern ließ ihn bey ſeiner Mei- nung. Hatte daruͤber doch ſo meine Speku- lation, dachte: die Catholici hatten vor in Dierdorf ein Kloſter zu Ehren Gottes zu er- bauen, die Evangelici riſſens zur Ehre Gottes wieder ein, da hieß es wohl mit Recht:
Wir glauben all an einen Gott, Und ſchlagen uns um Gotteswillen Einander Lendenlahm und todt, Um unſre Pflichten zu erfuͤllen.
Alſo lebt doch noch der wuͤtige Enthuſi- aſmus in unſerm toleranten Zeitalter zuwei-
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her iſt die Ehre Gottes das Stichblatt aller
Raͤnke und Thorheiten der Menſchen ge-
weſen, verſteht ſich aber nur von Anfa-
chern, oͤffentlichen Heerpoſaunern oder ge-
heimen Ohrenblaͤſern; der einfaͤltige Leye
geht immer ehrlich und aufrichtig zu Werke,
und der Praͤtext der Meutmacher iſt ſein
gutgemeinter Zweck. Darum wollt’ ich mei-
nem Wirth ſeinen Troſt und Stolz, daß er
gewiſſermaſſen die Maͤrtyrerkrone trage,
nicht rauben, ſondern ließ ihn bey ſeiner Mei-
nung. Hatte daruͤber doch ſo meine Speku-
lation, dachte: die Catholici hatten vor in
Dierdorf ein Kloſter zu Ehren Gottes zu er-
bauen, die Evangelici riſſens zur Ehre Gottes
wieder ein, da hieß es wohl mit Recht:
Wir glauben all an einen Gott,
Und ſchlagen uns um Gotteswillen
Einander Lendenlahm und todt,
Um unſre Pflichten zu erfuͤllen.
Alſo lebt doch noch der wuͤtige Enthuſi-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/287>, abgerufen am 16.07.2024.
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