Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

genwärtigen empfindsamen Stimmung nur
möglich war, und hielt ihr hinterher aus
der Fülle des Herzens einen herrlichen Pa-
negyrikus, welche Ehre wohl schwerlich ei-
ner Frau im funfzehnten Jahr der Ehe von
ihrem treuen Gatten, wenn er nicht als
tiefgebeugter Wittwer im Leichencarmen das
Wort geführet hat, wiederfahren ist. Jch
konnt mich nicht enthalten wacker mit zu
applaudiren, und tilgte in meinem Herzen
die Rechnung, welche ich ihr in Absicht
ihres ehemaligen Junonischen Betragens
gegen Lottchen, annoch creditiret hatte.
Wie aber iede Sache zwo Seiten hat, so
wendet ich in meinen Gedanken das Blatt
auch um. Sollts wohl mit dem mütter-
lichen Geschenk, frug ich mich, die Bewand-
niß haben, wie mit dem, das eine wohl-
thätige Judenschaft, oder die Frau des
Herrn Oberlins, Landgeistlichen in Walder-
bach, in Steinthal auf der Elsasser Gränze

nach

genwaͤrtigen empfindſamen Stimmung nur
moͤglich war, und hielt ihr hinterher aus
der Fuͤlle des Herzens einen herrlichen Pa-
negyrikus, welche Ehre wohl ſchwerlich ei-
ner Frau im funfzehnten Jahr der Ehe von
ihrem treuen Gatten, wenn er nicht als
tiefgebeugter Wittwer im Leichencarmen das
Wort gefuͤhret hat, wiederfahren iſt. Jch
konnt mich nicht enthalten wacker mit zu
applaudiren, und tilgte in meinem Herzen
die Rechnung, welche ich ihr in Abſicht
ihres ehemaligen Junoniſchen Betragens
gegen Lottchen, annoch creditiret hatte.
Wie aber iede Sache zwo Seiten hat, ſo
wendet ich in meinen Gedanken das Blatt
auch um. Sollts wohl mit dem muͤtter-
lichen Geſchenk, frug ich mich, die Bewand-
niß haben, wie mit dem, das eine wohl-
thaͤtige Judenſchaft, oder die Frau des
Herrn Oberlins, Landgeiſtlichen in Walder-
bach, in Steinthal auf der Elſaſſer Graͤnze

nach
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0245" n="237"/>
genwa&#x0364;rtigen empfind&#x017F;amen Stimmung nur<lb/>
mo&#x0364;glich war, und hielt ihr hinterher aus<lb/>
der Fu&#x0364;lle des Herzens einen herrlichen Pa-<lb/>
negyrikus, welche Ehre wohl &#x017F;chwerlich ei-<lb/>
ner Frau im funfzehnten Jahr der Ehe von<lb/>
ihrem treuen Gatten, wenn er nicht als<lb/>
tiefgebeugter Wittwer im Leichencarmen das<lb/>
Wort gefu&#x0364;hret hat, wiederfahren i&#x017F;t. Jch<lb/>
konnt mich nicht enthalten wacker mit zu<lb/>
applaudiren, und tilgte in meinem Herzen<lb/>
die Rechnung, welche ich ihr in Ab&#x017F;icht<lb/>
ihres ehemaligen Junoni&#x017F;chen Betragens<lb/>
gegen Lottchen, annoch creditiret hatte.<lb/>
Wie aber iede Sache zwo Seiten hat, &#x017F;o<lb/>
wendet ich in meinen Gedanken das Blatt<lb/>
auch um. Sollts wohl mit dem mu&#x0364;tter-<lb/>
lichen Ge&#x017F;chenk, frug ich mich, die Bewand-<lb/>
niß haben, wie mit dem, das eine wohl-<lb/>
tha&#x0364;tige Juden&#x017F;chaft, oder die Frau des<lb/>
Herrn Oberlins, Landgei&#x017F;tlichen in Walder-<lb/>
bach, in Steinthal auf der El&#x017F;a&#x017F;&#x017F;er Gra&#x0364;nze<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nach</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0245] genwaͤrtigen empfindſamen Stimmung nur moͤglich war, und hielt ihr hinterher aus der Fuͤlle des Herzens einen herrlichen Pa- negyrikus, welche Ehre wohl ſchwerlich ei- ner Frau im funfzehnten Jahr der Ehe von ihrem treuen Gatten, wenn er nicht als tiefgebeugter Wittwer im Leichencarmen das Wort gefuͤhret hat, wiederfahren iſt. Jch konnt mich nicht enthalten wacker mit zu applaudiren, und tilgte in meinem Herzen die Rechnung, welche ich ihr in Abſicht ihres ehemaligen Junoniſchen Betragens gegen Lottchen, annoch creditiret hatte. Wie aber iede Sache zwo Seiten hat, ſo wendet ich in meinen Gedanken das Blatt auch um. Sollts wohl mit dem muͤtter- lichen Geſchenk, frug ich mich, die Bewand- niß haben, wie mit dem, das eine wohl- thaͤtige Judenſchaft, oder die Frau des Herrn Oberlins, Landgeiſtlichen in Walder- bach, in Steinthal auf der Elſaſſer Graͤnze nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/245
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/245>, abgerufen am 27.04.2024.