Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie. O ia! sehr viel Aehnlichkeit.

Botzelement! dacht ich, mit all der Aehn-
lichkeit! Nun bin ich gerad so klug wie in
dem Augenblick, da Lottchen ins Zimmer
trat. Sie wurd eben abgerufen, und also
war für diesmal die physiognomische Lektion
beschlossen. -- Als ich allein war, hielt
ich folgendes Selbstgespräch an mich:
Wahrlich eine seltsame Lufterscheinung! Wie
soll ich mir das erklären, um Wahrheit dar-
aus zu ergreiffen? Das lose Mädchen ge-
steht ein, Skweir Wests Profil sey ihr Lieb-
lingsideal, und ein Freyer nach dieser Form
werd ihr nicht mißbehagen. Nun ich gar
pfiffig Teig von mancherley Komposition in
die Form schütte, um zu erforschen was ihr
schmecke, beliebt ihr von allem. Heißt das
so viel, daß sich ihre Liebe auf die ganze
Christenheit erstreckt, und ieder Freyer ihr
recht sey? Hätt ich ihr noch zwanzig iunge
Bursche hernennen mögen, so würden sie

überall

Sie. O ia! ſehr viel Aehnlichkeit.

Botzelement! dacht ich, mit all der Aehn-
lichkeit! Nun bin ich gerad ſo klug wie in
dem Augenblick, da Lottchen ins Zimmer
trat. Sie wurd eben abgerufen, und alſo
war fuͤr diesmal die phyſiognomiſche Lektion
beſchloſſen. — Als ich allein war, hielt
ich folgendes Selbſtgeſpraͤch an mich:
Wahrlich eine ſeltſame Lufterſcheinung! Wie
ſoll ich mir das erklaͤren, um Wahrheit dar-
aus zu ergreiffen? Das loſe Maͤdchen ge-
ſteht ein, Skweir Weſts Profil ſey ihr Lieb-
lingsideal, und ein Freyer nach dieſer Form
werd ihr nicht mißbehagen. Nun ich gar
pfiffig Teig von mancherley Kompoſition in
die Form ſchuͤtte, um zu erforſchen was ihr
ſchmecke, beliebt ihr von allem. Heißt das
ſo viel, daß ſich ihre Liebe auf die ganze
Chriſtenheit erſtreckt, und ieder Freyer ihr
recht ſey? Haͤtt ich ihr noch zwanzig iunge
Burſche hernennen moͤgen, ſo wuͤrden ſie

uͤberall
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0220" n="212"/>
          <p><hi rendition="#fr">Sie</hi>. O ia! &#x017F;ehr viel Aehnlichkeit.</p><lb/>
          <p>Botzelement! dacht ich, mit all der Aehn-<lb/>
lichkeit! Nun bin ich gerad &#x017F;o klug wie in<lb/>
dem Augenblick, da Lottchen ins Zimmer<lb/>
trat. Sie wurd eben abgerufen, und al&#x017F;o<lb/>
war fu&#x0364;r diesmal die phy&#x017F;iognomi&#x017F;che Lektion<lb/>
be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Als ich allein war, hielt<lb/>
ich folgendes Selb&#x017F;tge&#x017F;pra&#x0364;ch an mich:<lb/><hi rendition="#fr">Wahrlich eine &#x017F;elt&#x017F;ame Lufter&#x017F;cheinung! Wie</hi><lb/>
&#x017F;oll ich mir das erkla&#x0364;ren, um Wahrheit dar-<lb/>
aus zu ergreiffen? Das lo&#x017F;e Ma&#x0364;dchen ge-<lb/>
&#x017F;teht ein, Skweir We&#x017F;ts Profil &#x017F;ey ihr Lieb-<lb/>
lingsideal, und ein Freyer nach die&#x017F;er Form<lb/>
werd ihr nicht mißbehagen. Nun ich gar<lb/>
pfiffig Teig von mancherley Kompo&#x017F;ition in<lb/>
die Form &#x017F;chu&#x0364;tte, um zu erfor&#x017F;chen was ihr<lb/>
&#x017F;chmecke, beliebt ihr von allem. Heißt das<lb/>
&#x017F;o viel, daß &#x017F;ich ihre Liebe auf die ganze<lb/>
Chri&#x017F;tenheit er&#x017F;treckt, und ieder Freyer ihr<lb/>
recht &#x017F;ey? Ha&#x0364;tt ich ihr noch zwanzig iunge<lb/>
Bur&#x017F;che hernennen mo&#x0364;gen, &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">u&#x0364;berall</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0220] Sie. O ia! ſehr viel Aehnlichkeit. Botzelement! dacht ich, mit all der Aehn- lichkeit! Nun bin ich gerad ſo klug wie in dem Augenblick, da Lottchen ins Zimmer trat. Sie wurd eben abgerufen, und alſo war fuͤr diesmal die phyſiognomiſche Lektion beſchloſſen. — Als ich allein war, hielt ich folgendes Selbſtgeſpraͤch an mich: Wahrlich eine ſeltſame Lufterſcheinung! Wie ſoll ich mir das erklaͤren, um Wahrheit dar- aus zu ergreiffen? Das loſe Maͤdchen ge- ſteht ein, Skweir Weſts Profil ſey ihr Lieb- lingsideal, und ein Freyer nach dieſer Form werd ihr nicht mißbehagen. Nun ich gar pfiffig Teig von mancherley Kompoſition in die Form ſchuͤtte, um zu erforſchen was ihr ſchmecke, beliebt ihr von allem. Heißt das ſo viel, daß ſich ihre Liebe auf die ganze Chriſtenheit erſtreckt, und ieder Freyer ihr recht ſey? Haͤtt ich ihr noch zwanzig iunge Burſche hernennen moͤgen, ſo wuͤrden ſie uͤberall

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/220
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/220>, abgerufen am 28.03.2024.