zugehen. Zwar ging der Gaudieb Nikol List auch zur rechten Thür ein, als er die berühmte goldne Tafel in Lüneburg stahl; aber er eröffnete solche durch einen diebi- schen Nachschlüssel, brauchte Trug und Arglist sich des Kirchenraubes zu bemäch- tigen, welcher unerlaubten Mittel ich mich zu bedienen nicht gesonnen war. Allein durch eine nachfolgende Betrachtung dehnt' ich diese Gewissenhaftigkeit ins weite. Jch erwog, daß iunge Dirnen gern Schäkerey und Muthwillen üben, die Horcher und Spührer ihrer Geheimnisse äffen, durch betrügliche Offenherzigkeit den Zugang in ihr Herzkämmerlein willig zu gestatten schei- nen, und wenn der Kundschafter angezo- gen kommt sich drinn zu besehen, ihm die Thür vor der Nase zuwerfen, sich dar- hinter stellen wie Mutter Sara, und sich von Herzen satt lachen. Darum macht ich noch andere Anstalten, auch wider ihren
Willen
M 3
zugehen. Zwar ging der Gaudieb Nikol Liſt auch zur rechten Thuͤr ein, als er die beruͤhmte goldne Tafel in Luͤneburg ſtahl; aber er eroͤffnete ſolche durch einen diebi- ſchen Nachſchluͤſſel, brauchte Trug und Argliſt ſich des Kirchenraubes zu bemaͤch- tigen, welcher unerlaubten Mittel ich mich zu bedienen nicht geſonnen war. Allein durch eine nachfolgende Betrachtung dehnt’ ich dieſe Gewiſſenhaftigkeit ins weite. Jch erwog, daß iunge Dirnen gern Schaͤkerey und Muthwillen uͤben, die Horcher und Spuͤhrer ihrer Geheimniſſe aͤffen, durch betruͤgliche Offenherzigkeit den Zugang in ihr Herzkaͤmmerlein willig zu geſtatten ſchei- nen, und wenn der Kundſchafter angezo- gen kommt ſich drinn zu beſehen, ihm die Thuͤr vor der Naſe zuwerfen, ſich dar- hinter ſtellen wie Mutter Sara, und ſich von Herzen ſatt lachen. Darum macht ich noch andere Anſtalten, auch wider ihren
Willen
M 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0189"n="181"/>
zugehen. Zwar ging der Gaudieb Nikol<lb/>
Liſt auch zur rechten Thuͤr ein, als er die<lb/>
beruͤhmte goldne Tafel in Luͤneburg ſtahl;<lb/>
aber er eroͤffnete ſolche durch einen diebi-<lb/>ſchen Nachſchluͤſſel, brauchte Trug und<lb/>
Argliſt ſich des Kirchenraubes zu bemaͤch-<lb/>
tigen, welcher unerlaubten Mittel ich mich<lb/>
zu bedienen nicht geſonnen war. Allein<lb/>
durch eine nachfolgende Betrachtung dehnt’<lb/>
ich dieſe Gewiſſenhaftigkeit ins weite. Jch<lb/>
erwog, daß iunge Dirnen gern Schaͤkerey<lb/>
und Muthwillen uͤben, die Horcher und<lb/>
Spuͤhrer ihrer Geheimniſſe aͤffen, durch<lb/>
betruͤgliche Offenherzigkeit den Zugang in<lb/>
ihr Herzkaͤmmerlein willig zu geſtatten ſchei-<lb/>
nen, und wenn der Kundſchafter angezo-<lb/>
gen kommt ſich drinn zu beſehen, ihm die<lb/>
Thuͤr vor der Naſe zuwerfen, ſich dar-<lb/>
hinter ſtellen wie Mutter Sara, und ſich<lb/>
von Herzen ſatt lachen. Darum macht ich<lb/>
noch andere Anſtalten, auch wider ihren<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Willen</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[181/0189]
zugehen. Zwar ging der Gaudieb Nikol
Liſt auch zur rechten Thuͤr ein, als er die
beruͤhmte goldne Tafel in Luͤneburg ſtahl;
aber er eroͤffnete ſolche durch einen diebi-
ſchen Nachſchluͤſſel, brauchte Trug und
Argliſt ſich des Kirchenraubes zu bemaͤch-
tigen, welcher unerlaubten Mittel ich mich
zu bedienen nicht geſonnen war. Allein
durch eine nachfolgende Betrachtung dehnt’
ich dieſe Gewiſſenhaftigkeit ins weite. Jch
erwog, daß iunge Dirnen gern Schaͤkerey
und Muthwillen uͤben, die Horcher und
Spuͤhrer ihrer Geheimniſſe aͤffen, durch
betruͤgliche Offenherzigkeit den Zugang in
ihr Herzkaͤmmerlein willig zu geſtatten ſchei-
nen, und wenn der Kundſchafter angezo-
gen kommt ſich drinn zu beſehen, ihm die
Thuͤr vor der Naſe zuwerfen, ſich dar-
hinter ſtellen wie Mutter Sara, und ſich
von Herzen ſatt lachen. Darum macht ich
noch andere Anſtalten, auch wider ihren
Willen
M 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/189>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.