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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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gern abzuzählen; aber keiner wisse zu sagen,
wie viel er Freunde habe.

Er. Dem altklugen Cicero sollt's be-
gegnet seyn, sich eine solche Thorheit ent-
fallen zu lassen? Unmöglich! die wär längst
auf allen Schulbänken ausgepfiffen worden.
Wer kann so apodiktisch sagen: das ist ei-
ner meiner Freunde, wie man spricht: das
ist einer meiner Stiere. Ein bedachtsamer
Philosoph wird sagen: ich halte diesen
Mann für meinen Freund, weil er sich in
diesem und ienem Fall so bewiesen hat. Wer
kan einen Menschen ins Herz sehen und sei-
ne wahren Gesinnungen erforschen? Und
giebts nicht auch unbekannte Freunde, der-
gleichen auf allen Umschlägen der Journale
citirt und aufgefordert werden, litterarische
Ausgeburten zu befördern? Wenn unsre
Freunde doch durchaus mit dem zahmen
Hausvieh sollen verglichen werden, so muß
man die Aehnlichkeit nicht im Schaaf- und

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gern abzuzaͤhlen; aber keiner wiſſe zu ſagen,
wie viel er Freunde habe.

Er. Dem altklugen Cicero ſollt’s be-
gegnet ſeyn, ſich eine ſolche Thorheit ent-
fallen zu laſſen? Unmoͤglich! die waͤr laͤngſt
auf allen Schulbaͤnken ausgepfiffen worden.
Wer kann ſo apodiktiſch ſagen: das iſt ei-
ner meiner Freunde, wie man ſpricht: das
iſt einer meiner Stiere. Ein bedachtſamer
Philoſoph wird ſagen: ich halte dieſen
Mann fuͤr meinen Freund, weil er ſich in
dieſem und ienem Fall ſo bewieſen hat. Wer
kan einen Menſchen ins Herz ſehen und ſei-
ne wahren Geſinnungen erforſchen? Und
giebts nicht auch unbekannte Freunde, der-
gleichen auf allen Umſchlaͤgen der Journale
citirt und aufgefordert werden, litterariſche
Ausgeburten zu befoͤrdern? Wenn unſre
Freunde doch durchaus mit dem zahmen
Hausvieh ſollen verglichen werden, ſo muß
man die Aehnlichkeit nicht im Schaaf- und

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[151/0159] gern abzuzaͤhlen; aber keiner wiſſe zu ſagen, wie viel er Freunde habe. Er. Dem altklugen Cicero ſollt’s be- gegnet ſeyn, ſich eine ſolche Thorheit ent- fallen zu laſſen? Unmoͤglich! die waͤr laͤngſt auf allen Schulbaͤnken ausgepfiffen worden. Wer kann ſo apodiktiſch ſagen: das iſt ei- ner meiner Freunde, wie man ſpricht: das iſt einer meiner Stiere. Ein bedachtſamer Philoſoph wird ſagen: ich halte dieſen Mann fuͤr meinen Freund, weil er ſich in dieſem und ienem Fall ſo bewieſen hat. Wer kan einen Menſchen ins Herz ſehen und ſei- ne wahren Geſinnungen erforſchen? Und giebts nicht auch unbekannte Freunde, der- gleichen auf allen Umſchlaͤgen der Journale citirt und aufgefordert werden, litterariſche Ausgeburten zu befoͤrdern? Wenn unſre Freunde doch durchaus mit dem zahmen Hausvieh ſollen verglichen werden, ſo muß man die Aehnlichkeit nicht im Schaaf- und Zie- K 4

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/159>, abgerufen am 26.04.2024.