Ob ich nun gleich, fuhr ich fort, in Ab- sicht der physiognomischen Kunst und der- selben hochwichtigen Resultat, mit Jhnen nicht einstimmig denken kan: so hab ich mir doch beyher aus Jhren Diskursen eine Lehr abstrahirt, die ich nimmer vergessen werd, so weh sie auch meiner Lieblingsmeinung thut. Befind' nämlich, daß der Apostel gar recht spricht: es ist nie keine Weissa- gung aus menschlichen Herzen hervorbracht. Des Zürchers Gesichtsweissagung ist aus menschlichen Herzen, drum räum ichs Jh- nen ein, daß sie nicht, als ich wohl ehe- dem wähnt, just so zutrift wie's Rechen- täflein, es stell's auch einer damit an wie er immer woll; sondern wie das Aderlaß- täflein hinter dem Kaleuder; denn das ist auch menschliche Weissagung. Darinn stehn zur Nachweisung gute und böse Tag' verzeichnet; demungeachtet hat Mancher an einem bösen Tag Blut gelassen, und ist ihm
wohl
Ob ich nun gleich, fuhr ich fort, in Ab- ſicht der phyſiognomiſchen Kunſt und der- ſelben hochwichtigen Reſultat, mit Jhnen nicht einſtimmig denken kan: ſo hab ich mir doch beyher aus Jhren Diſkurſen eine Lehr abſtrahirt, die ich nimmer vergeſſen werd, ſo weh ſie auch meiner Lieblingsmeinung thut. Befind’ naͤmlich, daß der Apoſtel gar recht ſpricht: es iſt nie keine Weiſſa- gung aus menſchlichen Herzen hervorbracht. Des Zuͤrchers Geſichtsweiſſagung iſt aus menſchlichen Herzen, drum raͤum ichs Jh- nen ein, daß ſie nicht, als ich wohl ehe- dem waͤhnt, juſt ſo zutrift wie’s Rechen- taͤflein, es ſtell’s auch einer damit an wie er immer woll; ſondern wie das Aderlaß- taͤflein hinter dem Kaleuder; denn das iſt auch menſchliche Weiſſagung. Darinn ſtehn zur Nachweiſung gute und boͤſe Tag’ verzeichnet; demungeachtet hat Mancher an einem boͤſen Tag Blut gelaſſen, und iſt ihm
wohl
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Ob ich nun gleich, fuhr ich fort, in Ab-
ſicht der phyſiognomiſchen Kunſt und der-
ſelben hochwichtigen Reſultat, mit Jhnen
nicht einſtimmig denken kan: ſo hab ich mir
doch beyher aus Jhren Diſkurſen eine Lehr
abſtrahirt, die ich nimmer vergeſſen werd,
ſo weh ſie auch meiner Lieblingsmeinung
thut. Befind’ naͤmlich, daß der Apoſtel
gar recht ſpricht: es iſt nie keine Weiſſa-
gung aus menſchlichen Herzen hervorbracht.
Des Zuͤrchers Geſichtsweiſſagung iſt aus
menſchlichen Herzen, drum raͤum ichs Jh-
nen ein, daß ſie nicht, als ich wohl ehe-
dem waͤhnt, juſt ſo zutrift wie’s Rechen-
taͤflein, es ſtell’s auch einer damit an wie
er immer woll; ſondern wie das Aderlaß-
taͤflein hinter dem Kaleuder; denn das iſt
auch menſchliche Weiſſagung. Darinn
ſtehn zur Nachweiſung gute und boͤſe Tag’
verzeichnet; demungeachtet hat Mancher an
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/78>, abgerufen am 16.02.2025.
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