all Jhr Lebtag das tägliche Brod ohne Dok- tor Luthers Auslegung, und dem herzguten Lavater mit derselben bescheret. Er hat fromm Gemahl, fromme Kinder, fromme und getreue Oberherrn, gut Regiment, gut Wetter, Zucht, Ehre, gute Freunde, ge- treue Nachbarn und desgleichen. Was sollt' ihn unter diesen Umständen veranlaßt haben, seine ursprüngliche gutmüthige Den- kungsart, in Absicht der Menschen, abzu- ändern? Mit Jhnen hingegen ists was an- ders: Sie haben von dem allen ihr Lebtag nichts aufzuweisen gehabt, und so mußte unter Jhren Kalamitäten, ob sie gleich all' in der Ordnung der Dinge dieser Unterwelt guten Grund haben, das beste Herz erlie- gen, ließ die gute Meinung von den Men- schen schwinden, und eröfnet' dem Spleen und Menschenhaß Thor und Thür. Zwar dürft Einer auftreten und sprechen, Lavater hab auf seiner Wallfarth hienieden, auch
manche
all Jhr Lebtag das taͤgliche Brod ohne Dok- tor Luthers Auslegung, und dem herzguten Lavater mit derſelben beſcheret. Er hat fromm Gemahl, fromme Kinder, fromme und getreue Oberherrn, gut Regiment, gut Wetter, Zucht, Ehre, gute Freunde, ge- treue Nachbarn und desgleichen. Was ſollt’ ihn unter dieſen Umſtaͤnden veranlaßt haben, ſeine urſpruͤngliche gutmuͤthige Den- kungsart, in Abſicht der Menſchen, abzu- aͤndern? Mit Jhnen hingegen iſts was an- ders: Sie haben von dem allen ihr Lebtag nichts aufzuweiſen gehabt, und ſo mußte unter Jhren Kalamitaͤten, ob ſie gleich all’ in der Ordnung der Dinge dieſer Unterwelt guten Grund haben, das beſte Herz erlie- gen, ließ die gute Meinung von den Men- ſchen ſchwinden, und eroͤfnet’ dem Spleen und Menſchenhaß Thor und Thuͤr. Zwar duͤrft Einer auftreten und ſprechen, Lavater hab auf ſeiner Wallfarth hienieden, auch
manche
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all Jhr Lebtag das taͤgliche Brod ohne Dok-
tor Luthers Auslegung, und dem herzguten
Lavater mit derſelben beſcheret. Er hat
fromm Gemahl, fromme Kinder, fromme
und getreue Oberherrn, gut Regiment, gut
Wetter, Zucht, Ehre, gute Freunde, ge-
treue Nachbarn und desgleichen. Was
ſollt’ ihn unter dieſen Umſtaͤnden veranlaßt
haben, ſeine urſpruͤngliche gutmuͤthige Den-
kungsart, in Abſicht der Menſchen, abzu-
aͤndern? Mit Jhnen hingegen iſts was an-
ders: Sie haben von dem allen ihr Lebtag
nichts aufzuweiſen gehabt, und ſo mußte
unter Jhren Kalamitaͤten, ob ſie gleich all’
in der Ordnung der Dinge dieſer Unterwelt
guten Grund haben, das beſte Herz erlie-
gen, ließ die gute Meinung von den Men-
ſchen ſchwinden, und eroͤfnet’ dem Spleen
und Menſchenhaß Thor und Thuͤr. Zwar
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/74>, abgerufen am 23.07.2024.
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