Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Wo im Kompaß der Menschenkunde die
Nadel auf Liebe ruht, versteht der Forscher
nichts von ihrer Deklination, wenn er den
Punkt, nach welchem er steuren muß, nach
dem Strich abmißt, den ihm die Nadel
weißt. Sie sehen in diesen Kompaß der
Menschheit, wie ein Passagier, zum Zeit-
vertreib auf der Reise; ich aber wie ein
Steuermann, der seinen Lauf darnach be-
rechnet; folglich wie beyde mit ganz ver-
schiedenen Kenntnissen von der Sache.

Das ist verdollmetschet, fiel ich ein, die
ganze Aussenseite des Menschen, sowohl die
körperliche Form als die Ansicht seiner öf-
fentlichen Thathandlungen, lügt dem Beob-
achter, Jhrer Meinung nach, eine andere
Gestalt vor, als der Mensch in der That
hat, und das wahre Facit wird gleichsam
durch eine Anwendung der Regula falsi her-
aus gebracht. Sie berufen sich auf Erfah-
rungen, die Jhre Theorie bestätigen sollen:

davon
A 4

Wo im Kompaß der Menſchenkunde die
Nadel auf Liebe ruht, verſteht der Forſcher
nichts von ihrer Deklination, wenn er den
Punkt, nach welchem er ſteuren muß, nach
dem Strich abmißt, den ihm die Nadel
weißt. Sie ſehen in dieſen Kompaß der
Menſchheit, wie ein Paſſagier, zum Zeit-
vertreib auf der Reiſe; ich aber wie ein
Steuermann, der ſeinen Lauf darnach be-
rechnet; folglich wie beyde mit ganz ver-
ſchiedenen Kenntniſſen von der Sache.

Das iſt verdollmetſchet, fiel ich ein, die
ganze Auſſenſeite des Menſchen, ſowohl die
koͤrperliche Form als die Anſicht ſeiner oͤf-
fentlichen Thathandlungen, luͤgt dem Beob-
achter, Jhrer Meinung nach, eine andere
Geſtalt vor, als der Menſch in der That
hat, und das wahre Facit wird gleichſam
durch eine Anwendung der Regula falſi her-
aus gebracht. Sie berufen ſich auf Erfah-
rungen, die Jhre Theorie beſtaͤtigen ſollen:

davon
A 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0007" n="7"/>
Wo im Kompaß der Men&#x017F;chenkunde die<lb/>
Nadel auf Liebe ruht, ver&#x017F;teht der For&#x017F;cher<lb/>
nichts von ihrer Deklination, wenn er den<lb/>
Punkt, nach welchem er &#x017F;teuren muß, nach<lb/>
dem Strich abmißt, den ihm die Nadel<lb/>
weißt. Sie &#x017F;ehen in die&#x017F;en Kompaß der<lb/>
Men&#x017F;chheit, wie ein Pa&#x017F;&#x017F;agier, zum Zeit-<lb/>
vertreib auf der Rei&#x017F;e; ich aber wie ein<lb/>
Steuermann, der &#x017F;einen Lauf darnach be-<lb/>
rechnet; folglich wie beyde mit ganz ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Kenntni&#x017F;&#x017F;en von der Sache.</p><lb/>
        <p>Das i&#x017F;t verdollmet&#x017F;chet, fiel ich ein, die<lb/>
ganze Au&#x017F;&#x017F;en&#x017F;eite des Men&#x017F;chen, &#x017F;owohl die<lb/>
ko&#x0364;rperliche Form als die An&#x017F;icht &#x017F;einer o&#x0364;f-<lb/>
fentlichen Thathandlungen, lu&#x0364;gt dem Beob-<lb/>
achter, Jhrer Meinung nach, eine andere<lb/>
Ge&#x017F;talt vor, als der Men&#x017F;ch in der That<lb/>
hat, und das wahre Facit wird gleich&#x017F;am<lb/>
durch eine Anwendung der <hi rendition="#aq">Regula fal&#x017F;i</hi> her-<lb/>
aus gebracht. Sie berufen &#x017F;ich auf Erfah-<lb/>
rungen, die Jhre Theorie be&#x017F;ta&#x0364;tigen &#x017F;ollen:<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><fw place="bottom" type="catch">davon</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0007] Wo im Kompaß der Menſchenkunde die Nadel auf Liebe ruht, verſteht der Forſcher nichts von ihrer Deklination, wenn er den Punkt, nach welchem er ſteuren muß, nach dem Strich abmißt, den ihm die Nadel weißt. Sie ſehen in dieſen Kompaß der Menſchheit, wie ein Paſſagier, zum Zeit- vertreib auf der Reiſe; ich aber wie ein Steuermann, der ſeinen Lauf darnach be- rechnet; folglich wie beyde mit ganz ver- ſchiedenen Kenntniſſen von der Sache. Das iſt verdollmetſchet, fiel ich ein, die ganze Auſſenſeite des Menſchen, ſowohl die koͤrperliche Form als die Anſicht ſeiner oͤf- fentlichen Thathandlungen, luͤgt dem Beob- achter, Jhrer Meinung nach, eine andere Geſtalt vor, als der Menſch in der That hat, und das wahre Facit wird gleichſam durch eine Anwendung der Regula falſi her- aus gebracht. Sie berufen ſich auf Erfah- rungen, die Jhre Theorie beſtaͤtigen ſollen: davon A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/7
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/7>, abgerufen am 25.04.2024.