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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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jeden Tag baufälliger zu werden, dennoch
hielt es gleichsam ein einziger Riegel fest,
eine Hoffnung, die es mir noch immer
durch die Erinnerung an einen Denkspruch
in die Seele predigte, den die ehrwürdigsten
Bücher biß zum Feenmährgen herab em-
pfehlen. Es ist unmöglich, dacht' ich, daß
eine so gute Handlung unbelohnt bleiben
kan; in dieser Erwartung schrieb ich Noten
um Lohn wie Rousseau, und meine Miner-
va steckte Hauben. Und wirklich begab sich
etwas, das mich mit Welt und Weltbür-
gern auf einmal wieder aussöhnte. Ein
vermögender iunger Mann, der nach dem
Urtheil der Welt alle Eigenschaften besaß
eine Frau glücklich zu machen, ging alle
Mädchen der Stadt vorüber, die sich für
ihn puzten, und ihre Filetnetze ausspannten
ihn zu fahen, und begehrte die Hand mei-
ner Schwester.

"Bravo!
C 3

jeden Tag baufaͤlliger zu werden, dennoch
hielt es gleichſam ein einziger Riegel feſt,
eine Hoffnung, die es mir noch immer
durch die Erinnerung an einen Denkſpruch
in die Seele predigte, den die ehrwuͤrdigſten
Buͤcher biß zum Feenmaͤhrgen herab em-
pfehlen. Es iſt unmoͤglich, dacht’ ich, daß
eine ſo gute Handlung unbelohnt bleiben
kan; in dieſer Erwartung ſchrieb ich Noten
um Lohn wie Rouſſeau, und meine Miner-
va ſteckte Hauben. Und wirklich begab ſich
etwas, das mich mit Welt und Weltbuͤr-
gern auf einmal wieder ausſoͤhnte. Ein
vermoͤgender iunger Mann, der nach dem
Urtheil der Welt alle Eigenſchaften beſaß
eine Frau gluͤcklich zu machen, ging alle
Maͤdchen der Stadt voruͤber, die ſich fuͤr
ihn puzten, und ihre Filetnetze ausſpannten
ihn zu fahen, und begehrte die Hand mei-
ner Schweſter.

„Bravo!
C 3
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[37/0037] jeden Tag baufaͤlliger zu werden, dennoch hielt es gleichſam ein einziger Riegel feſt, eine Hoffnung, die es mir noch immer durch die Erinnerung an einen Denkſpruch in die Seele predigte, den die ehrwuͤrdigſten Buͤcher biß zum Feenmaͤhrgen herab em- pfehlen. Es iſt unmoͤglich, dacht’ ich, daß eine ſo gute Handlung unbelohnt bleiben kan; in dieſer Erwartung ſchrieb ich Noten um Lohn wie Rouſſeau, und meine Miner- va ſteckte Hauben. Und wirklich begab ſich etwas, das mich mit Welt und Weltbuͤr- gern auf einmal wieder ausſoͤhnte. Ein vermoͤgender iunger Mann, der nach dem Urtheil der Welt alle Eigenſchaften beſaß eine Frau gluͤcklich zu machen, ging alle Maͤdchen der Stadt voruͤber, die ſich fuͤr ihn puzten, und ihre Filetnetze ausſpannten ihn zu fahen, und begehrte die Hand mei- ner Schweſter. „Bravo! C 3

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/37>, abgerufen am 26.04.2024.