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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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weil sie eines ieden Beschauers eigne Per-
sönlichkeit unvermerkt ins Studium mit hin-
ein zieht. Wir messen uns in Gedanken
mit iedem Kopf der uns vorkommt, er sey
Silhouett', oder Vollgesicht, Büste, oder
Urbild zu dem allen, wirkliche Fleisch- und
Knochenmasse. Denn stillschweigend haben
wir mit unserm Witz die Convention getrof-
fen, daß dieser Vergleich nie zu unserm
Nachtheil, sondern immer zu unserm Ge-
winn und Vortheil ausfallen muß. Wenn
nun Einer die vernürnbergerten Abkonter-
feyungen in den Fragmenten durchblättert,
und die Verdeutschung derselben mit zur
Hand nimmt, seine eigne Larve damit ver-
gleicht und gewahr wird, daß all diese Ant-
litzlein, die so herrlich panegyrisirt werden,
im Grunde doch ordinäre Menschengesichter
sind, wie sein eignes, schöpft er flugs aus
iedem dieser Näpflein ein Fettauge für sich
heraus, und richtet sich davon eine Brühe

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weil ſie eines ieden Beſchauers eigne Per-
ſoͤnlichkeit unvermerkt ins Studium mit hin-
ein zieht. Wir meſſen uns in Gedanken
mit iedem Kopf der uns vorkommt, er ſey
Silhouett’, oder Vollgeſicht, Buͤſte, oder
Urbild zu dem allen, wirkliche Fleiſch- und
Knochenmaſſe. Denn ſtillſchweigend haben
wir mit unſerm Witz die Convention getrof-
fen, daß dieſer Vergleich nie zu unſerm
Nachtheil, ſondern immer zu unſerm Ge-
winn und Vortheil ausfallen muß. Wenn
nun Einer die vernuͤrnbergerten Abkonter-
feyungen in den Fragmenten durchblaͤttert,
und die Verdeutſchung derſelben mit zur
Hand nimmt, ſeine eigne Larve damit ver-
gleicht und gewahr wird, daß all dieſe Ant-
litzlein, die ſo herrlich panegyriſirt werden,
im Grunde doch ordinaͤre Menſchengeſichter
ſind, wie ſein eignes, ſchoͤpft er flugs aus
iedem dieſer Naͤpflein ein Fettauge fuͤr ſich
heraus, und richtet ſich davon eine Bruͤhe

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[117/0117] weil ſie eines ieden Beſchauers eigne Per- ſoͤnlichkeit unvermerkt ins Studium mit hin- ein zieht. Wir meſſen uns in Gedanken mit iedem Kopf der uns vorkommt, er ſey Silhouett’, oder Vollgeſicht, Buͤſte, oder Urbild zu dem allen, wirkliche Fleiſch- und Knochenmaſſe. Denn ſtillſchweigend haben wir mit unſerm Witz die Convention getrof- fen, daß dieſer Vergleich nie zu unſerm Nachtheil, ſondern immer zu unſerm Ge- winn und Vortheil ausfallen muß. Wenn nun Einer die vernuͤrnbergerten Abkonter- feyungen in den Fragmenten durchblaͤttert, und die Verdeutſchung derſelben mit zur Hand nimmt, ſeine eigne Larve damit ver- gleicht und gewahr wird, daß all dieſe Ant- litzlein, die ſo herrlich panegyriſirt werden, im Grunde doch ordinaͤre Menſchengeſichter ſind, wie ſein eignes, ſchoͤpft er flugs aus iedem dieſer Naͤpflein ein Fettauge fuͤr ſich heraus, und richtet ſich davon eine Bruͤhe uͤber H 3

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/117>, abgerufen am 24.11.2024.