betraf Belehrung und Aufschluß über das frostige zurückhaltende Wesen der Leip- ziger Gelehrten bey meinem Besuch, das mir nicht aus dem Kopf wollt; weil ich weis, daß die Höflichkeit da zu Haus' ist, und die Herren eher des Guten zu viel thun als zu wenig, wiewol zwischen Höflichkeit und Herzigkeit noch gar ein großer Unter- schied ist. Darüber gab mir nun mein Tischgenoß Bescheid, der mir sattsam Gnüge leistet'. Es sey, sprach er, ungefehr ein Jahr früher als ich ausgereißt bin, ein Horcher an der Wand umher gezogen, ob ers gleich nicht Wort haben woll', daß er gereißt sey, der hab den Gelehrten allent- halben fleißig zugesprochen, hab sie ausge- holt, ihnen ihre Gedanken und Meynungen über allerley Punkte, wovon jezt kontrover- tirt wird, arglistig abgefragt, und wo er was erwischt, was er meinte, daß es in seinem Kram tauglich wär, hab ers fleißig
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betraf Belehrung und Aufſchluß uͤber das froſtige zuruͤckhaltende Weſen der Leip- ziger Gelehrten bey meinem Beſuch, das mir nicht aus dem Kopf wollt; weil ich weis, daß die Hoͤflichkeit da zu Hauſ’ iſt, und die Herren eher des Guten zu viel thun als zu wenig, wiewol zwiſchen Hoͤflichkeit und Herzigkeit noch gar ein großer Unter- ſchied iſt. Daruͤber gab mir nun mein Tiſchgenoß Beſcheid, der mir ſattſam Gnuͤge leiſtet’. Es ſey, ſprach er, ungefehr ein Jahr fruͤher als ich ausgereißt bin, ein Horcher an der Wand umher gezogen, ob ers gleich nicht Wort haben woll’, daß er gereißt ſey, der hab den Gelehrten allent- halben fleißig zugeſprochen, hab ſie ausge- holt, ihnen ihre Gedanken und Meynungen uͤber allerley Punkte, wovon jezt kontrover- tirt wird, argliſtig abgefragt, und wo er was erwiſcht, was er meinte, daß es in ſeinem Kram tauglich waͤr, hab ers fleißig
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betraf Belehrung und Aufſchluß uͤber
das froſtige zuruͤckhaltende Weſen der Leip-
ziger Gelehrten bey meinem Beſuch, das
mir nicht aus dem Kopf wollt; weil ich
weis, daß die Hoͤflichkeit da zu Hauſ’ iſt,
und die Herren eher des Guten zu viel thun
als zu wenig, wiewol zwiſchen Hoͤflichkeit
und Herzigkeit noch gar ein großer Unter-
ſchied iſt. Daruͤber gab mir nun mein
Tiſchgenoß Beſcheid, der mir ſattſam Gnuͤge
leiſtet’. Es ſey, ſprach er, ungefehr ein
Jahr fruͤher als ich ausgereißt bin, ein
Horcher an der Wand umher gezogen, ob
ers gleich nicht Wort haben woll’, daß er
gereißt ſey, der hab den Gelehrten allent-
halben fleißig zugeſprochen, hab ſie ausge-
holt, ihnen ihre Gedanken und Meynungen
uͤber allerley Punkte, wovon jezt kontrover-
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ſeinem Kram tauglich waͤr, hab ers fleißig
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/95>, abgerufen am 16.02.2025.
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