Stirn hat zu feste Knochen, um dichten zu können, sonst unverworren, offen, hell- sehend, aber nicht tiefgrabend. Die Nase ist keine der luftigen, das mehr zusinkende Auge verschließt Empfindung in sich selbst. Jm Munde kalter Schmerz eines stillen Dulders. Jm ganzen Gesicht nichts von Kraftwesen.
Wir vollendeten beyde unsre stillen Be- trachtungen zu gleicher Zeit; der Fremde schlürfte seine lezte Tasse, grüßte mich nun freundlich, und packte sein kleines Theeser- vice, das ihm eigenthümlich zugehörte, wie- der ins Futteral. Bey dieser Gelegenheit entdeckt' ich, daß diese Geräthschaft mit Silhouetten-Malerey gezieret war. Des war ich froh, fehlt' wenig, daß ich dem Unbekannten ein physiognomisch Huzza zu- gerufen, wie die englischen Schiffer pfle- gen, wenn sie sich auf einer Seereise begeg- nen; denn ich meynt, er sey ein physio-
gnomi-
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Stirn hat zu feſte Knochen, um dichten zu koͤnnen, ſonſt unverworren, offen, hell- ſehend, aber nicht tiefgrabend. Die Naſe iſt keine der luftigen, das mehr zuſinkende Auge verſchließt Empfindung in ſich ſelbſt. Jm Munde kalter Schmerz eines ſtillen Dulders. Jm ganzen Geſicht nichts von Kraftweſen.
Wir vollendeten beyde unſre ſtillen Be- trachtungen zu gleicher Zeit; der Fremde ſchluͤrfte ſeine lezte Taſſe, gruͤßte mich nun freundlich, und packte ſein kleines Theeſer- vice, das ihm eigenthuͤmlich zugehoͤrte, wie- der ins Futteral. Bey dieſer Gelegenheit entdeckt’ ich, daß dieſe Geraͤthſchaft mit Silhouetten-Malerey gezieret war. Des war ich froh, fehlt’ wenig, daß ich dem Unbekannten ein phyſiognomiſch Huzza zu- gerufen, wie die engliſchen Schiffer pfle- gen, wenn ſie ſich auf einer Seereiſe begeg- nen; denn ich meynt, er ſey ein phyſio-
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Stirn hat zu feſte Knochen, um dichten
zu koͤnnen, ſonſt unverworren, offen, hell-
ſehend, aber nicht tiefgrabend. Die Naſe
iſt keine der luftigen, das mehr zuſinkende
Auge verſchließt Empfindung in ſich ſelbſt.
Jm Munde kalter Schmerz eines ſtillen
Dulders. Jm ganzen Geſicht nichts von
Kraftweſen.
Wir vollendeten beyde unſre ſtillen Be-
trachtungen zu gleicher Zeit; der Fremde
ſchluͤrfte ſeine lezte Taſſe, gruͤßte mich nun
freundlich, und packte ſein kleines Theeſer-
vice, das ihm eigenthuͤmlich zugehoͤrte, wie-
der ins Futteral. Bey dieſer Gelegenheit
entdeckt’ ich, daß dieſe Geraͤthſchaft mit
Silhouetten-Malerey gezieret war. Des
war ich froh, fehlt’ wenig, daß ich dem
Unbekannten ein phyſiognomiſch Huzza zu-
gerufen, wie die engliſchen Schiffer pfle-
gen, wenn ſie ſich auf einer Seereiſe begeg-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/133>, abgerufen am 16.02.2025.
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