wart Ew. Gnaden, oder Ew. Herrlichkeit, oder Ew. Hoheit ein solch Wonnegefühl über mich, daß ich all mein Leid drüber vergess', wie Sie an meinem Herzspiegel hier gar anschaulich sehen können, wenn Sie hinein zu schauen belieben. Kann seyn, daß dies Meteor am Gesichtshorizont auch von einer Ausdünstung der Eigen- lieb' erzeugt wird: strebt jeder sich beym ersten Anblick dem andern in seiner vortheil- haftesten Gestalt zu zeigen. Nun aber lehrt die Erfahrung, daß ein freundlich Ge- sicht mehr einnimmt, als ein steifes mür- risches oder hölzernes; die Gewohnheit wird leicht zur andern Natur, und daher ließ sich das unwillkührliche holdselige Lächeln beym Eintritt in eine Gesellschaft, oder zu einer Person, um deren Gunst man buhlt, wohl erklären. Wär auch möglich, daß das Anlachen der Geringern gegen die Großen im Volk so viel bedeuten sollt' als eine
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wart Ew. Gnaden, oder Ew. Herrlichkeit, oder Ew. Hoheit ein ſolch Wonnegefuͤhl uͤber mich, daß ich all mein Leid druͤber vergeſſ’, wie Sie an meinem Herzſpiegel hier gar anſchaulich ſehen koͤnnen, wenn Sie hinein zu ſchauen belieben. Kann ſeyn, daß dies Meteor am Geſichtshorizont auch von einer Ausduͤnſtung der Eigen- lieb’ erzeugt wird: ſtrebt jeder ſich beym erſten Anblick dem andern in ſeiner vortheil- hafteſten Geſtalt zu zeigen. Nun aber lehrt die Erfahrung, daß ein freundlich Ge- ſicht mehr einnimmt, als ein ſteifes muͤr- riſches oder hoͤlzernes; die Gewohnheit wird leicht zur andern Natur, und daher ließ ſich das unwillkuͤhrliche holdſelige Laͤcheln beym Eintritt in eine Geſellſchaft, oder zu einer Perſon, um deren Gunſt man buhlt, wohl erklaͤren. Waͤr auch moͤglich, daß das Anlachen der Geringern gegen die Großen im Volk ſo viel bedeuten ſollt’ als eine
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wart Ew. Gnaden, oder Ew. Herrlichkeit,
oder Ew. Hoheit ein ſolch Wonnegefuͤhl
uͤber mich, daß ich all mein Leid druͤber
vergeſſ’, wie Sie an meinem Herzſpiegel
hier gar anſchaulich ſehen koͤnnen, wenn
Sie hinein zu ſchauen belieben. Kann
ſeyn, daß dies Meteor am Geſichtshorizont
auch von einer Ausduͤnſtung der Eigen-
lieb’ erzeugt wird: ſtrebt jeder ſich beym
erſten Anblick dem andern in ſeiner vortheil-
hafteſten Geſtalt zu zeigen. Nun aber
lehrt die Erfahrung, daß ein freundlich Ge-
ſicht mehr einnimmt, als ein ſteifes muͤr-
riſches oder hoͤlzernes; die Gewohnheit wird
leicht zur andern Natur, und daher ließ ſich
das unwillkuͤhrliche holdſelige Laͤcheln beym
Eintritt in eine Geſellſchaft, oder zu einer
Perſon, um deren Gunſt man buhlt, wohl
erklaͤren. Waͤr auch moͤglich, daß das
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/126>, abgerufen am 16.02.2025.
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