Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

den Willen stimmt und den Jaherrn Ver-
stand durch ihr Tumultuiren bald übertäubt,
keimten wieder einige fruchtbare Betrachtun-
gen hervor, die ich mehrerer Deutlichkeit
halber mir also in Frag und Antwort zer-
gliedert'.

Frag'. Wie generirt sich die Jntoleranz
oder der Verfolgungsgeist?

Antwort. Wenn einer von der Wahrheit
und Gewißheit einer Sache sich überzeugt
hat, entweder durch die Sinnen, -- man
mag deren fünfe, oder nach einiger Mey-
nung nur drey, oder gar sieben und mehr
zählen; -- oder wenn er durch innern Ge-
fühlsblick, oder durch Vernunftschlüsse zu
einer festen Ueberzeugung gelangt ist: so
empfindet er ein Verlangen in sich, daß
andre Leut die Sache eben so erkennen sol-
len, als er selbst; und je lebhafter diese
Ueberzeugung ist, desto feuriger wird auch
das Verlangen, sie andern mitzutheilen.

Dar-

den Willen ſtimmt und den Jaherrn Ver-
ſtand durch ihr Tumultuiren bald uͤbertaͤubt,
keimten wieder einige fruchtbare Betrachtun-
gen hervor, die ich mehrerer Deutlichkeit
halber mir alſo in Frag und Antwort zer-
gliedert’.

Frag’. Wie generirt ſich die Jntoleranz
oder der Verfolgungsgeiſt?

Antwort. Wenn einer von der Wahrheit
und Gewißheit einer Sache ſich uͤberzeugt
hat, entweder durch die Sinnen, — man
mag deren fuͤnfe, oder nach einiger Mey-
nung nur drey, oder gar ſieben und mehr
zaͤhlen; — oder wenn er durch innern Ge-
fuͤhlsblick, oder durch Vernunftſchluͤſſe zu
einer feſten Ueberzeugung gelangt iſt: ſo
empfindet er ein Verlangen in ſich, daß
andre Leut die Sache eben ſo erkennen ſol-
len, als er ſelbſt; und je lebhafter dieſe
Ueberzeugung iſt, deſto feuriger wird auch
das Verlangen, ſie andern mitzutheilen.

Dar-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0110" n="110"/>
den Willen &#x017F;timmt und den Jaherrn Ver-<lb/>
&#x017F;tand durch ihr Tumultuiren bald u&#x0364;berta&#x0364;ubt,<lb/>
keimten wieder einige fruchtbare Betrachtun-<lb/>
gen hervor, die ich mehrerer Deutlichkeit<lb/>
halber mir al&#x017F;o in Frag und Antwort zer-<lb/>
gliedert&#x2019;.</p><lb/>
        <p>Frag&#x2019;. Wie generirt &#x017F;ich die Jntoleranz<lb/>
oder der Verfolgungsgei&#x017F;t?</p><lb/>
        <p>Antwort. Wenn einer von der Wahrheit<lb/>
und Gewißheit einer Sache &#x017F;ich u&#x0364;berzeugt<lb/>
hat, entweder durch die Sinnen, &#x2014; man<lb/>
mag deren fu&#x0364;nfe, oder nach einiger Mey-<lb/>
nung nur drey, oder gar &#x017F;ieben und mehr<lb/>
za&#x0364;hlen; &#x2014; oder wenn er durch innern Ge-<lb/>
fu&#x0364;hlsblick, oder durch Vernunft&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zu<lb/>
einer fe&#x017F;ten Ueberzeugung gelangt i&#x017F;t: &#x017F;o<lb/>
empfindet er ein Verlangen in &#x017F;ich, daß<lb/>
andre Leut die Sache eben &#x017F;o erkennen &#x017F;ol-<lb/>
len, als er &#x017F;elb&#x017F;t; und je lebhafter die&#x017F;e<lb/>
Ueberzeugung i&#x017F;t, de&#x017F;to feuriger wird auch<lb/>
das Verlangen, &#x017F;ie andern mitzutheilen.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Dar-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0110] den Willen ſtimmt und den Jaherrn Ver- ſtand durch ihr Tumultuiren bald uͤbertaͤubt, keimten wieder einige fruchtbare Betrachtun- gen hervor, die ich mehrerer Deutlichkeit halber mir alſo in Frag und Antwort zer- gliedert’. Frag’. Wie generirt ſich die Jntoleranz oder der Verfolgungsgeiſt? Antwort. Wenn einer von der Wahrheit und Gewißheit einer Sache ſich uͤberzeugt hat, entweder durch die Sinnen, — man mag deren fuͤnfe, oder nach einiger Mey- nung nur drey, oder gar ſieben und mehr zaͤhlen; — oder wenn er durch innern Ge- fuͤhlsblick, oder durch Vernunftſchluͤſſe zu einer feſten Ueberzeugung gelangt iſt: ſo empfindet er ein Verlangen in ſich, daß andre Leut die Sache eben ſo erkennen ſol- len, als er ſelbſt; und je lebhafter dieſe Ueberzeugung iſt, deſto feuriger wird auch das Verlangen, ſie andern mitzutheilen. Dar-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/110
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/110>, abgerufen am 21.11.2024.