Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

und wohl seyn würde. Durch sein Liebe-
dienern hat er bey meiner Frau einen großen
Stein im Brete; er physiognomisirt mit ihr,
und zur Vergeltung philanthropisirt sie mit
ihm. So greift ein Rad in dem Triebwer-
ke meiner Hausmaschine ins andere, ich bin
das Glöcklein an der Uhr, das sich nur lei-
dend verhält, und keinen Laut eher von sich
geben darf, als wenn es der innre Mecha-
nismus erfordert.

Mir verschlägt es zwar wenig, ob meine
theure Hälfte über ihre Nachbarinnen, wenn
sie nichts besseres weiß, physiognomisirt oder
medisirt; aber dabey sollte es auch bleiben.
Doch das Ding geht weiter als ich dachte.
Jezt hat der physiognomische Seher den tol-
len Einfall gehabt, an meinem Fritz eine
wirksame Staatsnase zu entdecken, vermuth-
lich, weil meine Frau den Nagel hat, aus
einem ihrer Junker einen Minister zu for-
men. Nun ist ein Treiben hinter mir, wie
das Treiben Jehu, daß ich ihnen den Buben
überlassen soll, den ich mir doch von mei-
nen Kindern allein ausgezogen habe um mit
ihm zu schalten und zu walten wie ich will.
Der Junge ist recht mein Ebenbild, so Gott
will, soll er ein Jäger werden und nichts an-

ders;
E 2

und wohl ſeyn wuͤrde. Durch ſein Liebe-
dienern hat er bey meiner Frau einen großen
Stein im Brete; er phyſiognomiſirt mit ihr,
und zur Vergeltung philanthropiſirt ſie mit
ihm. So greift ein Rad in dem Triebwer-
ke meiner Hausmaſchine ins andere, ich bin
das Gloͤcklein an der Uhr, das ſich nur lei-
dend verhaͤlt, und keinen Laut eher von ſich
geben darf, als wenn es der innre Mecha-
nismus erfordert.

Mir verſchlaͤgt es zwar wenig, ob meine
theure Haͤlfte uͤber ihre Nachbarinnen, wenn
ſie nichts beſſeres weiß, phyſiognomiſirt oder
mediſirt; aber dabey ſollte es auch bleiben.
Doch das Ding geht weiter als ich dachte.
Jezt hat der phyſiognomiſche Seher den tol-
len Einfall gehabt, an meinem Fritz eine
wirkſame Staatsnaſe zu entdecken, vermuth-
lich, weil meine Frau den Nagel hat, aus
einem ihrer Junker einen Miniſter zu for-
men. Nun iſt ein Treiben hinter mir, wie
das Treiben Jehu, daß ich ihnen den Buben
uͤberlaſſen ſoll, den ich mir doch von mei-
nen Kindern allein ausgezogen habe um mit
ihm zu ſchalten und zu walten wie ich will.
Der Junge iſt recht mein Ebenbild, ſo Gott
will, ſoll er ein Jaͤger werden und nichts an-

ders;
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0073" n="67"/>
und wohl &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Durch &#x017F;ein Liebe-<lb/>
dienern hat er bey meiner Frau einen großen<lb/>
Stein im Brete; er phy&#x017F;iognomi&#x017F;irt mit ihr,<lb/>
und zur Vergeltung philanthropi&#x017F;irt &#x017F;ie mit<lb/>
ihm. So greift ein Rad in dem Triebwer-<lb/>
ke meiner Hausma&#x017F;chine ins andere, ich bin<lb/>
das Glo&#x0364;cklein an der Uhr, das &#x017F;ich nur lei-<lb/>
dend verha&#x0364;lt, und keinen Laut eher von &#x017F;ich<lb/>
geben darf, als wenn es der innre Mecha-<lb/>
nismus erfordert.</p><lb/>
            <p>Mir ver&#x017F;chla&#x0364;gt es zwar wenig, ob meine<lb/>
theure Ha&#x0364;lfte u&#x0364;ber ihre Nachbarinnen, wenn<lb/>
&#x017F;ie nichts be&#x017F;&#x017F;eres weiß, phy&#x017F;iognomi&#x017F;irt oder<lb/>
medi&#x017F;irt; aber dabey &#x017F;ollte es auch bleiben.<lb/>
Doch das Ding geht weiter als ich dachte.<lb/>
Jezt hat der phy&#x017F;iognomi&#x017F;che Seher den tol-<lb/>
len Einfall gehabt, an meinem Fritz eine<lb/>
wirk&#x017F;ame Staatsna&#x017F;e zu entdecken, vermuth-<lb/>
lich, weil meine Frau den Nagel hat, aus<lb/>
einem ihrer Junker einen Mini&#x017F;ter zu for-<lb/>
men. Nun i&#x017F;t ein Treiben hinter mir, wie<lb/>
das Treiben Jehu, daß ich ihnen den Buben<lb/>
u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll, den ich mir doch von mei-<lb/>
nen Kindern allein ausgezogen habe um mit<lb/>
ihm zu &#x017F;chalten und zu walten wie ich will.<lb/>
Der Junge i&#x017F;t recht mein Ebenbild, &#x017F;o Gott<lb/>
will, &#x017F;oll er ein Ja&#x0364;ger werden und nichts an-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ders;</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0073] und wohl ſeyn wuͤrde. Durch ſein Liebe- dienern hat er bey meiner Frau einen großen Stein im Brete; er phyſiognomiſirt mit ihr, und zur Vergeltung philanthropiſirt ſie mit ihm. So greift ein Rad in dem Triebwer- ke meiner Hausmaſchine ins andere, ich bin das Gloͤcklein an der Uhr, das ſich nur lei- dend verhaͤlt, und keinen Laut eher von ſich geben darf, als wenn es der innre Mecha- nismus erfordert. Mir verſchlaͤgt es zwar wenig, ob meine theure Haͤlfte uͤber ihre Nachbarinnen, wenn ſie nichts beſſeres weiß, phyſiognomiſirt oder mediſirt; aber dabey ſollte es auch bleiben. Doch das Ding geht weiter als ich dachte. Jezt hat der phyſiognomiſche Seher den tol- len Einfall gehabt, an meinem Fritz eine wirkſame Staatsnaſe zu entdecken, vermuth- lich, weil meine Frau den Nagel hat, aus einem ihrer Junker einen Miniſter zu for- men. Nun iſt ein Treiben hinter mir, wie das Treiben Jehu, daß ich ihnen den Buben uͤberlaſſen ſoll, den ich mir doch von mei- nen Kindern allein ausgezogen habe um mit ihm zu ſchalten und zu walten wie ich will. Der Junge iſt recht mein Ebenbild, ſo Gott will, ſoll er ein Jaͤger werden und nichts an- ders; E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/73
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/73>, abgerufen am 03.05.2024.