Als ich so weit mit meiner Neditation gekommen war, trat ich ganz wohlgemuth ans Fenster, ein wenig Luft zu schöpfen und weiter drüber nachzudenken, siehe, da kam mit einemmal der Markus zum Thor herein, war lustig und vergnügt; rief dem Kellner zu: her 'n frischen Trurk 'ch hab' sie wieder, die Hammel, hab sie auskund- schafter auf der Diebsherberg, der Kneip- schenk' im Wald': sind verarrestirt. -- Jch wußt' nicht was ich da zu hören bekam und ob ich meinen Sinnen trauen sollt', gleich- wohl wars nicht anders. Thät deßhalb ganz gemach mein Fenster zu und schlich mißmüthig wieder zum Schreibtisch. Sah von ungefehr in Spiegel, fand mein Ge- sicht ganz entstellt; alle Musteln, die sich vorher iovialisch gerundet und erhoben hat- ten, hingen izt schlaff und schienen ver- längt: das Auge getrübt und verdüstert; die Nase bleich, der Mund verzerrt; die Unterlippe herabhangend. Da kam mir wieder ein Gedank ein: ist kraun ein närri- scher Handel, dacht ich, einen Verdruß darob zu fassen, daß die Thatsach beweißt, einer sey ein ehrlicher Kerl, den die Phan- tasie zum Dieb demostrirt. Bist sonst ein
Bieder-
Als ich ſo weit mit meiner Neditation gekommen war, trat ich ganz wohlgemuth ans Fenſter, ein wenig Luft zu ſchoͤpfen und weiter druͤber nachzudenken, ſiehe, da kam mit einemmal der Markus zum Thor herein, war luſtig und vergnuͤgt; rief dem Kellner zu: her ’n friſchen Trurk ’ch hab’ ſie wieder, die Hammel, hab ſie auskund- ſchafter auf der Diebsherberg, der Kneip- ſchenk’ im Wald’: ſind verarreſtirt. — Jch wußt’ nicht was ich da zu hoͤren bekam und ob ich meinen Sinnen trauen ſollt’, gleich- wohl wars nicht anders. Thaͤt deßhalb ganz gemach mein Fenſter zu und ſchlich mißmuͤthig wieder zum Schreibtiſch. Sah von ungefehr in Spiegel, fand mein Ge- ſicht ganz entſtellt; alle Muſteln, die ſich vorher iovialiſch gerundet und erhoben hat- ten, hingen izt ſchlaff und ſchienen ver- laͤngt: das Auge getruͤbt und verduͤſtert; die Naſe bleich, der Mund verzerrt; die Unterlippe herabhangend. Da kam mir wieder ein Gedank ein: iſt kraun ein naͤrri- ſcher Handel, dacht ich, einen Verdruß darob zu faſſen, daß die Thatſach beweißt, einer ſey ein ehrlicher Kerl, den die Phan- taſie zum Dieb demoſtrirt. Biſt ſonſt ein
Bieder-
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Als ich ſo weit mit meiner Neditation
gekommen war, trat ich ganz wohlgemuth
ans Fenſter, ein wenig Luft zu ſchoͤpfen
und weiter druͤber nachzudenken, ſiehe, da
kam mit einemmal der Markus zum Thor
herein, war luſtig und vergnuͤgt; rief dem
Kellner zu: her ’n friſchen Trurk ’ch hab’
ſie wieder, die Hammel, hab ſie auskund-
ſchafter auf der Diebsherberg, der Kneip-
ſchenk’ im Wald’: ſind verarreſtirt. — Jch
wußt’ nicht was ich da zu hoͤren bekam und
ob ich meinen Sinnen trauen ſollt’, gleich-
wohl wars nicht anders. Thaͤt deßhalb
ganz gemach mein Fenſter zu und ſchlich
mißmuͤthig wieder zum Schreibtiſch. Sah
von ungefehr in Spiegel, fand mein Ge-
ſicht ganz entſtellt; alle Muſteln, die ſich
vorher iovialiſch gerundet und erhoben hat-
ten, hingen izt ſchlaff und ſchienen ver-
laͤngt: das Auge getruͤbt und verduͤſtert;
die Naſe bleich, der Mund verzerrt; die
Unterlippe herabhangend. Da kam mir
wieder ein Gedank ein: iſt kraun ein naͤrri-
ſcher Handel, dacht ich, einen Verdruß
darob zu faſſen, daß die Thatſach beweißt,
einer ſey ein ehrlicher Kerl, den die Phan-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/188>, abgerufen am 16.02.2025.
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