putz ihrer Schriften brauchen, wie die Da- men die römischen Locken, zu ihrem Kopf- aufputz. Gleichwohl weiß iedermann, daß diese Herren ihre alte Gelehrsamkeit aus neuen Diktionärs, und aus Paraphrasten und Uebersetzern zusammen suchen, wie die Damen ihre römischen Locken unter den Hauben deutscher Bauerdirnen. Jch will mich indessen begnügen, ihnen mit einem Gleichniße zu antworten, weil sie diese lie- ben. Jst es nicht vernünftiger und bes- ser, aus der Quelle selbst reines klares Trinkwasser zu schöpfen, als aus der Lache mattes und getrübtes, das seinen erquicken- den Geist und seine Lauterkeit immer mehr verliert, abschmeckender und eckelhafter wird, ie weiter es fließt?
Allerdings! da hat der Herr recht. Aber wenn die alte Gelehrsamkeit mit einer Brunnquell zu vergleichen ist, vergleich ich sie mit dem Selzerbrunn'. Jst lang aus- ser Brauch, ist auch nicht eines ieden Sach', daß er als Brunnengast hinreis', und das Quellwasser trinke; wär auch un- nöthig, Ursache des: es ist kein gemein Wasser, stekt Kraft und Geist drinnen, drum läßt sichs auf viel Meilweges über
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putz ihrer Schriften brauchen, wie die Da- men die roͤmiſchen Locken, zu ihrem Kopf- aufputz. Gleichwohl weiß iedermann, daß dieſe Herren ihre alte Gelehrſamkeit aus neuen Diktionaͤrs, und aus Paraphraſten und Ueberſetzern zuſammen ſuchen, wie die Damen ihre roͤmiſchen Locken unter den Hauben deutſcher Bauerdirnen. Jch will mich indeſſen begnuͤgen, ihnen mit einem Gleichniße zu antworten, weil ſie dieſe lie- ben. Jſt es nicht vernuͤnftiger und beſ- ſer, aus der Quelle ſelbſt reines klares Trinkwaſſer zu ſchoͤpfen, als aus der Lache mattes und getruͤbtes, das ſeinen erquicken- den Geiſt und ſeine Lauterkeit immer mehr verliert, abſchmeckender und eckelhafter wird, ie weiter es fließt?
Allerdings! da hat der Herr recht. Aber wenn die alte Gelehrſamkeit mit einer Brunnquell zu vergleichen iſt, vergleich ich ſie mit dem Selzerbrunn’. Jſt lang auſ- ſer Brauch, iſt auch nicht eines ieden Sach’, daß er als Brunnengaſt hinreiſ’, und das Quellwaſſer trinke; waͤr auch un- noͤthig, Urſache des: es iſt kein gemein Waſſer, ſtekt Kraft und Geiſt drinnen, drum laͤßt ſichs auf viel Meilweges uͤber
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putz ihrer Schriften brauchen, wie die Da-
men die roͤmiſchen Locken, zu ihrem Kopf-
aufputz. Gleichwohl weiß iedermann, daß
dieſe Herren ihre alte Gelehrſamkeit aus
neuen Diktionaͤrs, und aus Paraphraſten
und Ueberſetzern zuſammen ſuchen, wie die
Damen ihre roͤmiſchen Locken unter den
Hauben deutſcher Bauerdirnen. Jch will
mich indeſſen begnuͤgen, ihnen mit einem
Gleichniße zu antworten, weil ſie dieſe lie-
ben. Jſt es nicht vernuͤnftiger und beſ-
ſer, aus der Quelle ſelbſt reines klares
Trinkwaſſer zu ſchoͤpfen, als aus der Lache
mattes und getruͤbtes, das ſeinen erquicken-
den Geiſt und ſeine Lauterkeit immer mehr
verliert, abſchmeckender und eckelhafter
wird, ie weiter es fließt?
Allerdings! da hat der Herr recht.
Aber wenn die alte Gelehrſamkeit mit einer
Brunnquell zu vergleichen iſt, vergleich ich
ſie mit dem Selzerbrunn’. Jſt lang auſ-
ſer Brauch, iſt auch nicht eines ieden
Sach’, daß er als Brunnengaſt hinreiſ’,
und das Quellwaſſer trinke; waͤr auch un-
noͤthig, Urſache des: es iſt kein gemein
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/171>, abgerufen am 08.07.2024.
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