tersprach reden noch schreiben darf, und er- kennt diese so alleinig für reichsgesezmäsig, wie Dr. Piderit den masorethischen Text der hebräischen Bibel. Wozu soll uns das Sprachstudium? die alten Schriftstel- ler zu lesen? das lohnt der Müh nicht mehr: da ist keiner, der nicht in eine neue Sprach', die gäng und gäb' ist, über- sezt worden wär, und daraus läßt sich die Sacherkenntniß so gut studiren als aus'm Original.
M. Gr. Dawider ließ sich nicht we- nig einwenden; ich könnte Jhnen nur zum Beispiel die griechischen und römischen Red- ner und Dichter anführen, die mübersez- bar sind, und folglich aus keiner Ueber- setzung vollkommen studirt werder können. Sie würden mir aber einwenden, daß die- ses Studium iezt entbehrlich sey: wir hät- ten ihren Geist bereits erhascht und in un- sere Schriften übergetragen, und aus die- sen könnte der Jüngling seinen Geschmak nun vollkommen bilden. Das ist der Glaube unsrer Schöndenker, den sie mit dem Herzen bekennen und nur mit dem Munde verleugnen, weil sie noch die rö- mische und griechische Litteratur um Auf-
putz
terſprach reden noch ſchreiben darf, und er- kennt dieſe ſo alleinig fuͤr reichsgeſezmaͤſig, wie Dr. Piderit den maſorethiſchen Text der hebraͤiſchen Bibel. Wozu ſoll uns das Sprachſtudium? die alten Schriftſtel- ler zu leſen? das lohnt der Muͤh nicht mehr: da iſt keiner, der nicht in eine neue Sprach’, die gaͤng und gaͤb’ iſt, uͤber- ſezt worden waͤr, und daraus laͤßt ſich die Sacherkenntniß ſo gut ſtudiren als aus’m Original.
M. Gr. Dawider ließ ſich nicht we- nig einwenden; ich koͤnnte Jhnen nur zum Beiſpiel die griechiſchen und roͤmiſchen Red- ner und Dichter anfuͤhren, die muͤberſez- bar ſind, und folglich aus keiner Ueber- ſetzung vollkommen ſtudirt werder koͤnnen. Sie wuͤrden mir aber einwenden, daß die- ſes Studium iezt entbehrlich ſey: wir haͤt- ten ihren Geiſt bereits erhaſcht und in un- ſere Schriften uͤbergetragen, und aus die- ſen koͤnnte der Juͤngling ſeinen Geſchmak nun vollkommen bilden. Das iſt der Glaube unſrer Schoͤndenker, den ſie mit dem Herzen bekennen und nur mit dem Munde verleugnen, weil ſie noch die roͤ- miſche und griechiſche Litteratur um Auf-
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terſprach reden noch ſchreiben darf, und er-
kennt dieſe ſo alleinig fuͤr reichsgeſezmaͤſig,
wie Dr. Piderit den maſorethiſchen Text
der hebraͤiſchen Bibel. Wozu ſoll uns
das Sprachſtudium? die alten Schriftſtel-
ler zu leſen? das lohnt der Muͤh nicht
mehr: da iſt keiner, der nicht in eine
neue Sprach’, die gaͤng und gaͤb’ iſt, uͤber-
ſezt worden waͤr, und daraus laͤßt ſich die
Sacherkenntniß ſo gut ſtudiren als aus’m
Original.
M. Gr. Dawider ließ ſich nicht we-
nig einwenden; ich koͤnnte Jhnen nur zum
Beiſpiel die griechiſchen und roͤmiſchen Red-
ner und Dichter anfuͤhren, die muͤberſez-
bar ſind, und folglich aus keiner Ueber-
ſetzung vollkommen ſtudirt werder koͤnnen.
Sie wuͤrden mir aber einwenden, daß die-
ſes Studium iezt entbehrlich ſey: wir haͤt-
ten ihren Geiſt bereits erhaſcht und in un-
ſere Schriften uͤbergetragen, und aus die-
ſen koͤnnte der Juͤngling ſeinen Geſchmak
nun vollkommen bilden. Das iſt der
Glaube unſrer Schoͤndenker, den ſie mit
dem Herzen bekennen und nur mit dem
Munde verleugnen, weil ſie noch die roͤ-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/170>, abgerufen am 16.02.2025.
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