zuweilen nur auf die bößartigen Züg speku- lirt, auch diese gar oft durch die Brill der Phantasey betrachtet; sonach aber dennoch ein Zug von Tück- und Schalkheit irgend- wo in meinem Gesicht stecken müßt, davon mein Herz nichts wiß', so drückt mir das aufs Herz, wie ein ungewohnter Schuh auf einen Leichdorn. Laß sehen, sprach ich zu mir selbst, was du für eine Chamäleons Fratz habest, die sich in so vielerley Gestal- ten formt, daß du nicht sicher bist, man werd' noch eine Knipperdollings, Storzebe- chers oder was sonst noch für eine Teufels- larv' aus dir herausphysiognomisiren. Hat Dr. Baldrian schon eine gewisse Localphy- siognomie, die ich mit meinen eingesessenen Bauren gemein haben soll, mir eindisputirt, und welche ich aus statthaften Gründen mir hab müßen gefallen lassen: aber ein Diebs- gesicht mit mir herum zu tragen, das wär mir ausserm Spaß.
Sezt' mich deßhalb vor den Spiegel, stellt auf die eine Seite die Gypsbüste, auf die andre mein Porträt, nach welchem mich Schleuen in Berlin zum Beytrag für die Fragmente gestochen; aber so verkleinstäd- telt hat, daß ich die Kupferplatte nicht hab
einschi-
zuweilen nur auf die boͤßartigen Zuͤg ſpeku- lirt, auch dieſe gar oft durch die Brill der Phantaſey betrachtet; ſonach aber dennoch ein Zug von Tuͤck- und Schalkheit irgend- wo in meinem Geſicht ſtecken muͤßt, davon mein Herz nichts wiß’, ſo druͤckt mir das aufs Herz, wie ein ungewohnter Schuh auf einen Leichdorn. Laß ſehen, ſprach ich zu mir ſelbſt, was du fuͤr eine Chamaͤleons Fratz habeſt, die ſich in ſo vielerley Geſtal- ten formt, daß du nicht ſicher biſt, man werd’ noch eine Knipperdollings, Storzebe- chers oder was ſonſt noch fuͤr eine Teufels- larv’ aus dir herausphyſiognomiſiren. Hat Dr. Baldrian ſchon eine gewiſſe Localphy- ſiognomie, die ich mit meinen eingeſeſſenen Bauren gemein haben ſoll, mir eindiſputirt, und welche ich aus ſtatthaften Gruͤnden mir hab muͤßen gefallen laſſen: aber ein Diebs- geſicht mit mir herum zu tragen, das waͤr mir auſſerm Spaß.
Sezt’ mich deßhalb vor den Spiegel, ſtellt auf die eine Seite die Gypsbuͤſte, auf die andre mein Portraͤt, nach welchem mich Schleuen in Berlin zum Beytrag fuͤr die Fragmente geſtochen; aber ſo verkleinſtaͤd- telt hat, daß ich die Kupferplatte nicht hab
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zuweilen nur auf die boͤßartigen Zuͤg ſpeku-
lirt, auch dieſe gar oft durch die Brill der
Phantaſey betrachtet; ſonach aber dennoch
ein Zug von Tuͤck- und Schalkheit irgend-
wo in meinem Geſicht ſtecken muͤßt, davon
mein Herz nichts wiß’, ſo druͤckt mir das
aufs Herz, wie ein ungewohnter Schuh auf
einen Leichdorn. Laß ſehen, ſprach ich zu
mir ſelbſt, was du fuͤr eine Chamaͤleons
Fratz habeſt, die ſich in ſo vielerley Geſtal-
ten formt, daß du nicht ſicher biſt, man
werd’ noch eine Knipperdollings, Storzebe-
chers oder was ſonſt noch fuͤr eine Teufels-
larv’ aus dir herausphyſiognomiſiren. Hat
Dr. Baldrian ſchon eine gewiſſe Localphy-
ſiognomie, die ich mit meinen eingeſeſſenen
Bauren gemein haben ſoll, mir eindiſputirt,
und welche ich aus ſtatthaften Gruͤnden mir
hab muͤßen gefallen laſſen: aber ein Diebs-
geſicht mit mir herum zu tragen, das waͤr
mir auſſerm Spaß.
Sezt’ mich deßhalb vor den Spiegel,
ſtellt auf die eine Seite die Gypsbuͤſte, auf
die andre mein Portraͤt, nach welchem mich
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/148>, abgerufen am 27.07.2024.
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