Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.ein Weiblein in Schatten ruhend, mit dem Hier ist Nahrung für deinen physiogno- hat's
ein Weiblein in Schatten ruhend, mit dem Hier iſt Nahrung fuͤr deinen phyſiogno- hat’s
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0101" n="95"/> ein Weiblein in Schatten ruhend, mit dem<lb/> linken Arm ſtuͤzte ſie ihr Haupt auf ein<lb/> kleines Packt ihrer Waͤſche und Kleider. Ein<lb/> ſchwarzer Baſthut mit einem blaßrothen<lb/> Band’ und zwey welkenden Feldroſen ge-<lb/> ſchmuͤckt, bedeckte ihr Geſicht; nur Mund<lb/> und Kinn waren ſichtbar, und ließen keine<lb/> ſchlechte Bildung vermuthen.</p><lb/> <p>Hier iſt Nahrung fuͤr deinen phyſiogno-<lb/> miſchen Hunger, dacht’ ich, wenigſtens be-<lb/> maͤntelte dadurch mein Herz den Jnſtinkt<lb/> zur naͤhern Bekanntſchaft mit der Unbekann-<lb/> ten; ſchlich alſo unbemerkt naͤher zu ihr<lb/> hin. — Aber wie mir zu Muth’ ward’!<lb/> als aus ihrem ſchwellenden Buſen ſich lau-<lb/> te Seufzer hervordraͤngten; als ihre weiſſe<lb/> Schuͤrze die Thraͤnen gierig verſchlang, die<lb/> von den Wangen wie der Thau aus der<lb/> Morgenroͤthe herab traͤufelten! Jedes Auf-<lb/> ſchluchſen des Maͤdchens war fuͤr mein inn-<lb/> res Gefuͤhl ein elektriſcher Schlag, und<lb/> wenn nicht ein ploͤzlicher Zufall mich aus<lb/> dieſer empfindſamen Ekſtaſe geriſſen haͤtte,<lb/> ſo wuͤrd’ ich noch bey Sternenklang der Naͤ-<lb/> nie des lieblichen Maͤdchens zugehorcht ha-<lb/> ben. Aber das Mitleid regte ſich ſo ſehr,<lb/> daß ich ganz weichmuͤthig wurde. Nun<lb/> <fw place="bottom" type="catch">hat’s</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0101]
ein Weiblein in Schatten ruhend, mit dem
linken Arm ſtuͤzte ſie ihr Haupt auf ein
kleines Packt ihrer Waͤſche und Kleider. Ein
ſchwarzer Baſthut mit einem blaßrothen
Band’ und zwey welkenden Feldroſen ge-
ſchmuͤckt, bedeckte ihr Geſicht; nur Mund
und Kinn waren ſichtbar, und ließen keine
ſchlechte Bildung vermuthen.
Hier iſt Nahrung fuͤr deinen phyſiogno-
miſchen Hunger, dacht’ ich, wenigſtens be-
maͤntelte dadurch mein Herz den Jnſtinkt
zur naͤhern Bekanntſchaft mit der Unbekann-
ten; ſchlich alſo unbemerkt naͤher zu ihr
hin. — Aber wie mir zu Muth’ ward’!
als aus ihrem ſchwellenden Buſen ſich lau-
te Seufzer hervordraͤngten; als ihre weiſſe
Schuͤrze die Thraͤnen gierig verſchlang, die
von den Wangen wie der Thau aus der
Morgenroͤthe herab traͤufelten! Jedes Auf-
ſchluchſen des Maͤdchens war fuͤr mein inn-
res Gefuͤhl ein elektriſcher Schlag, und
wenn nicht ein ploͤzlicher Zufall mich aus
dieſer empfindſamen Ekſtaſe geriſſen haͤtte,
ſo wuͤrd’ ich noch bey Sternenklang der Naͤ-
nie des lieblichen Maͤdchens zugehorcht ha-
ben. Aber das Mitleid regte ſich ſo ſehr,
daß ich ganz weichmuͤthig wurde. Nun
hat’s
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