Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Zweiter Theil. Eisenach, 1761.

Bild:
<< vorherige Seite

überbrachte, könnte mir in der Sache einiges Licht geben. Ich ließ ihn zu mir rufen, und fragte, von wem er den Brief, den er Vormittage brachte, bekommen hätte. Er schien über diese Frage sehr verwirrt, ein neuer Grund mich in meinen Gedanken zu bestärken. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Da ich dieses merkte, setzte ich desto heftiger mit Fragen an ihn, und er schien oftmals zu zweifeln, ob er sie mit ja oder nein beantworten sollte. Dieses brachte mich auf die Vermuthung, daß ihm eine Rolle war aufgetragen worden, die er aber sehr schlecht spielte. Bald hatte ihm seine Tochter den Brief ins Haus gebracht, bald hatte sie ihm ein Unbekannter gegen Abend zum Fenster hinein gegeben. Bei diesem letzten Geständniß blieb er endlich. Er hat eine sehr schlechte Gabe zum Lügen, und es ist ein Glück für ihn, daß er in dem jetzigen Kriege nicht zu einem Spion ist gebraucht worden, das wäre für ihn der nächste Weg zum Galgen. Wenigstens trieb er dieses Handwerk gewiß nicht so lange als Käsebier.

überbrachte, könnte mir in der Sache einiges Licht geben. Ich ließ ihn zu mir rufen, und fragte, von wem er den Brief, den er Vormittage brachte, bekommen hätte. Er schien über diese Frage sehr verwirrt, ein neuer Grund mich in meinen Gedanken zu bestärken. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Da ich dieses merkte, setzte ich desto heftiger mit Fragen an ihn, und er schien oftmals zu zweifeln, ob er sie mit ja oder nein beantworten sollte. Dieses brachte mich auf die Vermuthung, daß ihm eine Rolle war aufgetragen worden, die er aber sehr schlecht spielte. Bald hatte ihm seine Tochter den Brief ins Haus gebracht, bald hatte sie ihm ein Unbekannter gegen Abend zum Fenster hinein gegeben. Bei diesem letzten Geständniß blieb er endlich. Er hat eine sehr schlechte Gabe zum Lügen, und es ist ein Glück für ihn, daß er in dem jetzigen Kriege nicht zu einem Spion ist gebraucht worden, das wäre für ihn der nächste Weg zum Galgen. Wenigstens trieb er dieses Handwerk gewiß nicht so lange als Käsebier.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0278" n="276"/>
überbrachte, könnte mir in der Sache einiges Licht geben. Ich ließ ihn zu mir rufen, und fragte, von wem er den Brief, den er Vormittage brachte, bekommen hätte. Er schien über diese Frage sehr verwirrt, ein neuer Grund mich in meinen Gedanken zu bestärken. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Da ich dieses merkte, setzte ich desto heftiger mit Fragen an ihn, und er schien oftmals zu zweifeln, ob er sie mit ja oder nein beantworten sollte. Dieses brachte mich auf die Vermuthung, daß ihm eine Rolle war aufgetragen worden, die er aber sehr schlecht spielte. Bald hatte ihm seine Tochter den Brief ins Haus gebracht, bald hatte sie ihm ein Unbekannter gegen Abend zum Fenster hinein gegeben. Bei diesem letzten Geständniß blieb er endlich. Er hat eine sehr schlechte Gabe zum Lügen, und es ist ein Glück für ihn, daß er in dem jetzigen Kriege nicht zu einem Spion ist gebraucht worden, das wäre für ihn der nächste Weg zum Galgen. Wenigstens trieb er dieses Handwerk gewiß nicht so lange als Käsebier.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0278] überbrachte, könnte mir in der Sache einiges Licht geben. Ich ließ ihn zu mir rufen, und fragte, von wem er den Brief, den er Vormittage brachte, bekommen hätte. Er schien über diese Frage sehr verwirrt, ein neuer Grund mich in meinen Gedanken zu bestärken. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Da ich dieses merkte, setzte ich desto heftiger mit Fragen an ihn, und er schien oftmals zu zweifeln, ob er sie mit ja oder nein beantworten sollte. Dieses brachte mich auf die Vermuthung, daß ihm eine Rolle war aufgetragen worden, die er aber sehr schlecht spielte. Bald hatte ihm seine Tochter den Brief ins Haus gebracht, bald hatte sie ihm ein Unbekannter gegen Abend zum Fenster hinein gegeben. Bei diesem letzten Geständniß blieb er endlich. Er hat eine sehr schlechte Gabe zum Lügen, und es ist ein Glück für ihn, daß er in dem jetzigen Kriege nicht zu einem Spion ist gebraucht worden, das wäre für ihn der nächste Weg zum Galgen. Wenigstens trieb er dieses Handwerk gewiß nicht so lange als Käsebier.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T15:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T15:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T15:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Der Seitenumbruch erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Worttrennungen am Zeilenende entfallen.
  • Das lange „s“ („ſ“) wird als normales rundes „s“ wiedergegeben.
  • Auslassungspunkte werden, unabhängig von der Anzahl der Punkte, als „…“ (Sonderzeichen Alt+0133) wiedergegeben.
  • Apostrophe werden durch das Sonderzeichen „’“ (Alt+0146) wiedergegeben (nicht durch die Variante auf der Tastatur).
  • Bindestriche werden durch den normalen Bindestrich „-“ wiedergegeben (nicht durch „=“).
  • Gleichheitszeichen „=“ werden als normale Gedankenstriche (Halbgeviertstriche) „–“ wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison02_1761
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison02_1761/278
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Zweiter Theil. Eisenach, 1761, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison02_1761/278>, abgerufen am 07.05.2024.