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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Gegenstand erreichbaren, Meisterschaft er sich seiner Auf-
gabe entledigt: Der gemalte Zweig scheint von dem
Zauber und Duft der Natur nichts eingebüßt zu haben.
Auch das Trivialste erscheint nicht trivial; immer ist es
durchweht von dem poetischen Hauch der Natur. Man
hat gesagt, ein japanisches Bild sei ein Gedicht. Ja,
es ist ein Gedicht, so gewiß, als über der Frühlings-
landschaft der Hauch der Poesie liegt; es ist ein Gedicht,
weil und soweit es Natur ist. Aber da, wo das wirk-
lich Ideale recht zum Ausdruck kommt, hört die japa-
nische Malerei auf. Die Welt der Ideale ist ihr un-
bekannt, die persönliche Darstellung von Freiheit und
Recht, von Wahrheit und Liebe, von Glaube und Hoff-
nung ist ihr ebenso unmöglich wie der Poesie. Und wie
man in den Gedichten mit ihren 31 Silben in fünf Zeilen
vergeblich nach großen Gedanken sucht, so auch auf den
Gemälden. Der japanische Geist ist nicht auf das Große,
sondern auf das Kleine und Feine hin veranlagt.

Das geistigste Wesen der Schöpfung bildet keinen
Gegenstand der Malerei. Des Dichters Ausspruch, daß
der Mensch das höchste Studium der Menschheit sei, ist
der japanischen Kunst, ist dem Geistesleben des Japaners
überhaupt fremd. Wo sich die Malerei doch an den
Menschen heranmacht, da wird es entweder ein geistloses
Porträt oder eine Karikatur. Sein Karikieren aber ist
das stille Eingeständnis, daß er hier an den Grenzen
seines Könnens angelangt ist; ein Eingeständnis, das uns
in humoristischer Art zum Lachen bringen und über es
selbst hinwegtäuschen soll, das aber nichts desto weniger
in seinem ganzen melancholischen Ernst bestehen bleibt.

Die japanische Malerei, die unsere Künstler noch
manches gelehrt hat, darf vielleicht als die höchste Voll-
kommenheit des Realismus bezeichnet werden, eine Voll-

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Gegenſtand erreichbaren, Meiſterſchaft er ſich ſeiner Auf-
gabe entledigt: Der gemalte Zweig ſcheint von dem
Zauber und Duft der Natur nichts eingebüßt zu haben.
Auch das Trivialſte erſcheint nicht trivial; immer iſt es
durchweht von dem poetiſchen Hauch der Natur. Man
hat geſagt, ein japaniſches Bild ſei ein Gedicht. Ja,
es iſt ein Gedicht, ſo gewiß, als über der Frühlings-
landſchaft der Hauch der Poeſie liegt; es iſt ein Gedicht,
weil und ſoweit es Natur iſt. Aber da, wo das wirk-
lich Ideale recht zum Ausdruck kommt, hört die japa-
niſche Malerei auf. Die Welt der Ideale iſt ihr un-
bekannt, die perſönliche Darſtellung von Freiheit und
Recht, von Wahrheit und Liebe, von Glaube und Hoff-
nung iſt ihr ebenſo unmöglich wie der Poeſie. Und wie
man in den Gedichten mit ihren 31 Silben in fünf Zeilen
vergeblich nach großen Gedanken ſucht, ſo auch auf den
Gemälden. Der japaniſche Geiſt iſt nicht auf das Große,
ſondern auf das Kleine und Feine hin veranlagt.

Das geiſtigſte Weſen der Schöpfung bildet keinen
Gegenſtand der Malerei. Des Dichters Ausſpruch, daß
der Menſch das höchſte Studium der Menſchheit ſei, iſt
der japaniſchen Kunſt, iſt dem Geiſtesleben des Japaners
überhaupt fremd. Wo ſich die Malerei doch an den
Menſchen heranmacht, da wird es entweder ein geiſtloſes
Porträt oder eine Karikatur. Sein Karikieren aber iſt
das ſtille Eingeſtändnis, daß er hier an den Grenzen
ſeines Könnens angelangt iſt; ein Eingeſtändnis, das uns
in humoriſtiſcher Art zum Lachen bringen und über es
ſelbſt hinwegtäuſchen ſoll, das aber nichts deſto weniger
in ſeinem ganzen melancholiſchen Ernſt beſtehen bleibt.

Die japaniſche Malerei, die unſere Künſtler noch
manches gelehrt hat, darf vielleicht als die höchſte Voll-
kommenheit des Realismus bezeichnet werden, eine Voll-

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[83/0097] Gegenſtand erreichbaren, Meiſterſchaft er ſich ſeiner Auf- gabe entledigt: Der gemalte Zweig ſcheint von dem Zauber und Duft der Natur nichts eingebüßt zu haben. Auch das Trivialſte erſcheint nicht trivial; immer iſt es durchweht von dem poetiſchen Hauch der Natur. Man hat geſagt, ein japaniſches Bild ſei ein Gedicht. Ja, es iſt ein Gedicht, ſo gewiß, als über der Frühlings- landſchaft der Hauch der Poeſie liegt; es iſt ein Gedicht, weil und ſoweit es Natur iſt. Aber da, wo das wirk- lich Ideale recht zum Ausdruck kommt, hört die japa- niſche Malerei auf. Die Welt der Ideale iſt ihr un- bekannt, die perſönliche Darſtellung von Freiheit und Recht, von Wahrheit und Liebe, von Glaube und Hoff- nung iſt ihr ebenſo unmöglich wie der Poeſie. Und wie man in den Gedichten mit ihren 31 Silben in fünf Zeilen vergeblich nach großen Gedanken ſucht, ſo auch auf den Gemälden. Der japaniſche Geiſt iſt nicht auf das Große, ſondern auf das Kleine und Feine hin veranlagt. Das geiſtigſte Weſen der Schöpfung bildet keinen Gegenſtand der Malerei. Des Dichters Ausſpruch, daß der Menſch das höchſte Studium der Menſchheit ſei, iſt der japaniſchen Kunſt, iſt dem Geiſtesleben des Japaners überhaupt fremd. Wo ſich die Malerei doch an den Menſchen heranmacht, da wird es entweder ein geiſtloſes Porträt oder eine Karikatur. Sein Karikieren aber iſt das ſtille Eingeſtändnis, daß er hier an den Grenzen ſeines Könnens angelangt iſt; ein Eingeſtändnis, das uns in humoriſtiſcher Art zum Lachen bringen und über es ſelbſt hinwegtäuſchen ſoll, das aber nichts deſto weniger in ſeinem ganzen melancholiſchen Ernſt beſtehen bleibt. Die japaniſche Malerei, die unſere Künſtler noch manches gelehrt hat, darf vielleicht als die höchſte Voll- kommenheit des Realismus bezeichnet werden, eine Voll- 6*

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/97>, abgerufen am 24.11.2024.