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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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innerlichsten Eigentum zu machen, ist nicht seine Sache.
Er übernimmt die Resultate, aber den weiten Weg, der
zu diesen Resultaten führt, erspart er sich. Quantitativ
ist sein Geistesleben dem unsrigen überlegen, qualitativ
steht es hinter dem unsrigen zurück. Der Japaner hat
Talent, er hat großes Talent; aber er hat wenig Genie.
Er hat Talent, denn er versteht es, mit dargebotenen
Mitteln zu arbeiten und zwar vorzüglich zu arbeiten;
aber er hat wenig Genie; denn er versteht es nicht, in
den Kern und das Wesen der Dinge zu dringen, um
aus der Tiefe heraus sich selbst immer wieder auf das
Neue zu gebären und neue reiche Schätze zu heben. Der
Japaner ist nicht original. Der Mangel an Originalität
fällt überall auf. In deutschen Zeitungen stand vor
nicht langer Zeit eine Geschichte zu lesen, deren unge-
fährer Inhalt folgendermaßen war: Zwei Japaner
hielten sich etwa ein Jahr lang in einer Textilfabrik
in Sachsen auf, welche große Ausfuhr nach Japan hat.
Nachdem sie die Geheimnisse der Fabrik genau ausge-
kundschaftet und studiert hatten, kehrten sie in ihre Hei-
mat zurück und hier, wo man vor der Nemesis des
unlauteren Wettbetriebs sicher ist, gründeten sie selbst
eine Fabrik, in welcher sie die Artikel jenes deutschen
Geschäftes nachmachten. Nun sind die japanischen Ar-
beitslöhne sehr niedrig, wohl immer noch um das
Dreifache niedriger als bei uns. Infolgedessen konnten
sie sehr billig arbeiten und schlugen die deutsche Firma
bald aus dem Felde. In der Verlegenheit und um
wieder neuen Absatz zu gewinnen, traf die deutsche
Fabrik neue Einrichtungen, arbeitete nach veränderten
Systemen und schuf neue Fabrikate. Damit erwarb sie
sich denn auch wieder einen neuen Markt, und jetzt
kamen jene Japaner in Verlegenheit. Sie schrieben

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innerlichſten Eigentum zu machen, iſt nicht ſeine Sache.
Er übernimmt die Reſultate, aber den weiten Weg, der
zu dieſen Reſultaten führt, erſpart er ſich. Quantitativ
iſt ſein Geiſtesleben dem unſrigen überlegen, qualitativ
ſteht es hinter dem unſrigen zurück. Der Japaner hat
Talent, er hat großes Talent; aber er hat wenig Genie.
Er hat Talent, denn er verſteht es, mit dargebotenen
Mitteln zu arbeiten und zwar vorzüglich zu arbeiten;
aber er hat wenig Genie; denn er verſteht es nicht, in
den Kern und das Weſen der Dinge zu dringen, um
aus der Tiefe heraus ſich ſelbſt immer wieder auf das
Neue zu gebären und neue reiche Schätze zu heben. Der
Japaner iſt nicht original. Der Mangel an Originalität
fällt überall auf. In deutſchen Zeitungen ſtand vor
nicht langer Zeit eine Geſchichte zu leſen, deren unge-
fährer Inhalt folgendermaßen war: Zwei Japaner
hielten ſich etwa ein Jahr lang in einer Textilfabrik
in Sachſen auf, welche große Ausfuhr nach Japan hat.
Nachdem ſie die Geheimniſſe der Fabrik genau ausge-
kundſchaftet und ſtudiert hatten, kehrten ſie in ihre Hei-
mat zurück und hier, wo man vor der Nemeſis des
unlauteren Wettbetriebs ſicher iſt, gründeten ſie ſelbſt
eine Fabrik, in welcher ſie die Artikel jenes deutſchen
Geſchäftes nachmachten. Nun ſind die japaniſchen Ar-
beitslöhne ſehr niedrig, wohl immer noch um das
Dreifache niedriger als bei uns. Infolgedeſſen konnten
ſie ſehr billig arbeiten und ſchlugen die deutſche Firma
bald aus dem Felde. In der Verlegenheit und um
wieder neuen Abſatz zu gewinnen, traf die deutſche
Fabrik neue Einrichtungen, arbeitete nach veränderten
Syſtemen und ſchuf neue Fabrikate. Damit erwarb ſie
ſich denn auch wieder einen neuen Markt, und jetzt
kamen jene Japaner in Verlegenheit. Sie ſchrieben

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[67/0081] innerlichſten Eigentum zu machen, iſt nicht ſeine Sache. Er übernimmt die Reſultate, aber den weiten Weg, der zu dieſen Reſultaten führt, erſpart er ſich. Quantitativ iſt ſein Geiſtesleben dem unſrigen überlegen, qualitativ ſteht es hinter dem unſrigen zurück. Der Japaner hat Talent, er hat großes Talent; aber er hat wenig Genie. Er hat Talent, denn er verſteht es, mit dargebotenen Mitteln zu arbeiten und zwar vorzüglich zu arbeiten; aber er hat wenig Genie; denn er verſteht es nicht, in den Kern und das Weſen der Dinge zu dringen, um aus der Tiefe heraus ſich ſelbſt immer wieder auf das Neue zu gebären und neue reiche Schätze zu heben. Der Japaner iſt nicht original. Der Mangel an Originalität fällt überall auf. In deutſchen Zeitungen ſtand vor nicht langer Zeit eine Geſchichte zu leſen, deren unge- fährer Inhalt folgendermaßen war: Zwei Japaner hielten ſich etwa ein Jahr lang in einer Textilfabrik in Sachſen auf, welche große Ausfuhr nach Japan hat. Nachdem ſie die Geheimniſſe der Fabrik genau ausge- kundſchaftet und ſtudiert hatten, kehrten ſie in ihre Hei- mat zurück und hier, wo man vor der Nemeſis des unlauteren Wettbetriebs ſicher iſt, gründeten ſie ſelbſt eine Fabrik, in welcher ſie die Artikel jenes deutſchen Geſchäftes nachmachten. Nun ſind die japaniſchen Ar- beitslöhne ſehr niedrig, wohl immer noch um das Dreifache niedriger als bei uns. Infolgedeſſen konnten ſie ſehr billig arbeiten und ſchlugen die deutſche Firma bald aus dem Felde. In der Verlegenheit und um wieder neuen Abſatz zu gewinnen, traf die deutſche Fabrik neue Einrichtungen, arbeitete nach veränderten Syſtemen und ſchuf neue Fabrikate. Damit erwarb ſie ſich denn auch wieder einen neuen Markt, und jetzt kamen jene Japaner in Verlegenheit. Sie ſchrieben 5*

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/81>, abgerufen am 23.11.2024.