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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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etwas lehrt, begreift er nicht, weil er die Geschichte
nicht sinnlich wahrnimmt. Anstatt: "Die Geschichte lehrt
uns" sagt er darum: "Wenn wir die Geschichte unter-
suchen, so lernen wir" (rekishi wo shirabemasureba,
... wakarimasu
). Nehmen wir ein anderes Beispiel:
"Die Erfahrung zeigt, daß das Gute belohnt und das
Böse bestraft wird". Wie die Erfahrung, die doch
weder Mund noch Finger hat, etwas zeigen soll, begreift
der Japaner nicht. Noch versteht er, wie man das
Gute belohnen kann, da es doch keine Hand hat, mit
welcher die Belohnung in Empfang zu nehmen, oder
wie man das Böse bestrafen kann, da es doch nicht hand-
greiflich ist wie ein Mörder oder Dieb, den man in
das Gefängnis steckt. Er ändert darum den Satz völlig
um; den abstrakten Begriff "Erfahrung" macht er konkret,
an Stelle von "das Gute" und "das Böse" setzt er die
guten und die bösen Menschen, so daß der Satz lautet:
"Wenn wir den Zustand dieser Welt betrachten, so
wissen wir, daß die Guten Lohn und die Bösen Strafen
erhalten" (kono yo no sama wo mimasureba, yoi hito
wa yoi mukui wo uru warui hito wa batsu wo ukeru
to iu koto ga wakarimasu
). So betrachtet sich der Japaner
die Einzelfälle und die Einzelwesen, und macht diese
zum unmittelbaren Untergrund seines Urteils. In dieser
konkreten Sinnlichkeit, und nur in ihr, besitzt er unan-
tastbare Wahrheit.

Wir sprechen von dem Hauch der Freiheit, dem
Schwert der Gerechtigkeit und dem Zahn der Zeit. Für
den Japaner sind solche Allegorien der barste Unsinn.
Wir sagen: "Die Arznei hat mich gerettet"; "der Schuß
hat ihn getötet"; der Japaner aber kann sich leblose
Dinge wie "Arznei" und "Schuß" nicht thätig vorstellen
und sagt darum: "Durch die Arznei wurde ich gerettet"

etwas lehrt, begreift er nicht, weil er die Geſchichte
nicht ſinnlich wahrnimmt. Anſtatt: „Die Geſchichte lehrt
uns“ ſagt er darum: „Wenn wir die Geſchichte unter-
ſuchen, ſo lernen wir“ (rekishi wo shirabemasureba,
… wakarimasu
). Nehmen wir ein anderes Beiſpiel:
„Die Erfahrung zeigt, daß das Gute belohnt und das
Böſe beſtraft wird“. Wie die Erfahrung, die doch
weder Mund noch Finger hat, etwas zeigen ſoll, begreift
der Japaner nicht. Noch verſteht er, wie man das
Gute belohnen kann, da es doch keine Hand hat, mit
welcher die Belohnung in Empfang zu nehmen, oder
wie man das Böſe beſtrafen kann, da es doch nicht hand-
greiflich iſt wie ein Mörder oder Dieb, den man in
das Gefängnis ſteckt. Er ändert darum den Satz völlig
um; den abſtrakten Begriff „Erfahrung“ macht er konkret,
an Stelle von „das Gute“ und „das Böſe“ ſetzt er die
guten und die böſen Menſchen, ſo daß der Satz lautet:
„Wenn wir den Zuſtand dieſer Welt betrachten, ſo
wiſſen wir, daß die Guten Lohn und die Böſen Strafen
erhalten“ (kono yo no sama wo mimasureba, yoi hito
wa yoi mukui wo uru warui hito wa batsu wo ukeru
to iu koto ga wakarimasu
). So betrachtet ſich der Japaner
die Einzelfälle und die Einzelweſen, und macht dieſe
zum unmittelbaren Untergrund ſeines Urteils. In dieſer
konkreten Sinnlichkeit, und nur in ihr, beſitzt er unan-
taſtbare Wahrheit.

Wir ſprechen von dem Hauch der Freiheit, dem
Schwert der Gerechtigkeit und dem Zahn der Zeit. Für
den Japaner ſind ſolche Allegorien der barſte Unſinn.
Wir ſagen: „Die Arznei hat mich gerettet“; „der Schuß
hat ihn getötet“; der Japaner aber kann ſich lebloſe
Dinge wie „Arznei“ und „Schuß“ nicht thätig vorſtellen
und ſagt darum: „Durch die Arznei wurde ich gerettet“

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[36/0050] etwas lehrt, begreift er nicht, weil er die Geſchichte nicht ſinnlich wahrnimmt. Anſtatt: „Die Geſchichte lehrt uns“ ſagt er darum: „Wenn wir die Geſchichte unter- ſuchen, ſo lernen wir“ (rekishi wo shirabemasureba, … wakarimasu). Nehmen wir ein anderes Beiſpiel: „Die Erfahrung zeigt, daß das Gute belohnt und das Böſe beſtraft wird“. Wie die Erfahrung, die doch weder Mund noch Finger hat, etwas zeigen ſoll, begreift der Japaner nicht. Noch verſteht er, wie man das Gute belohnen kann, da es doch keine Hand hat, mit welcher die Belohnung in Empfang zu nehmen, oder wie man das Böſe beſtrafen kann, da es doch nicht hand- greiflich iſt wie ein Mörder oder Dieb, den man in das Gefängnis ſteckt. Er ändert darum den Satz völlig um; den abſtrakten Begriff „Erfahrung“ macht er konkret, an Stelle von „das Gute“ und „das Böſe“ ſetzt er die guten und die böſen Menſchen, ſo daß der Satz lautet: „Wenn wir den Zuſtand dieſer Welt betrachten, ſo wiſſen wir, daß die Guten Lohn und die Böſen Strafen erhalten“ (kono yo no sama wo mimasureba, yoi hito wa yoi mukui wo uru warui hito wa batsu wo ukeru to iu koto ga wakarimasu). So betrachtet ſich der Japaner die Einzelfälle und die Einzelweſen, und macht dieſe zum unmittelbaren Untergrund ſeines Urteils. In dieſer konkreten Sinnlichkeit, und nur in ihr, beſitzt er unan- taſtbare Wahrheit. Wir ſprechen von dem Hauch der Freiheit, dem Schwert der Gerechtigkeit und dem Zahn der Zeit. Für den Japaner ſind ſolche Allegorien der barſte Unſinn. Wir ſagen: „Die Arznei hat mich gerettet“; „der Schuß hat ihn getötet“; der Japaner aber kann ſich lebloſe Dinge wie „Arznei“ und „Schuß“ nicht thätig vorſtellen und ſagt darum: „Durch die Arznei wurde ich gerettet“

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/50>, abgerufen am 22.11.2024.