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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Eine Einwirkung auf breite Volksmassen läßt sich heute
durch das gesprochene Wort schwer mehr erreichen. Um
so energischer aber hat man einen parallelen Weg be-
treten, welcher recht eigentlich als der Weg zur Volks-
bekehrung bezeichnet werden darf. Dieser Weg ist das
gedruckte Wort.

Daß die Mission in Japan von dem gedruckten
Wort im weitesten Umfang Gebrauch macht, ist nicht
verwunderlich. Giebt es doch kein Heidenvolk, bei
welchem die Leselust und die Lesefähigkeit so groß wäre
wie hier, kein Heidenvolk, bei welchem die Presse eine
so gewaltige Macht ist. Dazu kommt, daß man dem
gedruckten Wort noch mit größerer Ehrfurcht begegnet
als bei uns. Was in Japan bis vor fünfundzwanzig
Jahren den gewöhnlichen Lesestoff bildete, das waren
die heiligen Schriften der chinesischen Klassiker. Die un-
bedingte Autorität, welche sie beanspruchten, wirkt heute
noch im Volke allem Gedruckten gegenüber nach.

Welche Bedeutung das gedruckte Wort schon für die
Einzelbekehrung besitzt, davon giebt die ergreifende Be-
kehrungsgeschichte des Wakasa-no-kami einen schlagenden
Beleg; und wer es vorher gewohnt war, über die
"Traktätlein" der Pietisten zu spotten, sollte ihnen
lieber im Stillen Abbitte thun. Aber freilich, die
Wirkung des gedruckten Wortes muß weiter reichen,
als der Pietismus, der in seinen ecclesiolae kurzsichtig
geworden ist, sich träumen ließ.

Das gedruckte Wort steht hinter dem gesprochenen
an augenblicklicher Kraft zurück. Dafür aber hat es
andere Vorteile, welche jenen Mangel wieder aufwiegen.
Die Lebensdauer des gesprochenen Worts ist in der
Regel kurz. Das gedruckte Wort aber mag noch in
fernen Lebensjahren, ja noch zu Kind und Kindeskind

Eine Einwirkung auf breite Volksmaſſen läßt ſich heute
durch das geſprochene Wort ſchwer mehr erreichen. Um
ſo energiſcher aber hat man einen parallelen Weg be-
treten, welcher recht eigentlich als der Weg zur Volks-
bekehrung bezeichnet werden darf. Dieſer Weg iſt das
gedruckte Wort.

Daß die Miſſion in Japan von dem gedruckten
Wort im weiteſten Umfang Gebrauch macht, iſt nicht
verwunderlich. Giebt es doch kein Heidenvolk, bei
welchem die Leſeluſt und die Leſefähigkeit ſo groß wäre
wie hier, kein Heidenvolk, bei welchem die Preſſe eine
ſo gewaltige Macht iſt. Dazu kommt, daß man dem
gedruckten Wort noch mit größerer Ehrfurcht begegnet
als bei uns. Was in Japan bis vor fünfundzwanzig
Jahren den gewöhnlichen Leſeſtoff bildete, das waren
die heiligen Schriften der chineſiſchen Klaſſiker. Die un-
bedingte Autorität, welche ſie beanſpruchten, wirkt heute
noch im Volke allem Gedruckten gegenüber nach.

Welche Bedeutung das gedruckte Wort ſchon für die
Einzelbekehrung beſitzt, davon giebt die ergreifende Be-
kehrungsgeſchichte des Wakaſa-no-kami einen ſchlagenden
Beleg; und wer es vorher gewohnt war, über die
„Traktätlein“ der Pietiſten zu ſpotten, ſollte ihnen
lieber im Stillen Abbitte thun. Aber freilich, die
Wirkung des gedruckten Wortes muß weiter reichen,
als der Pietismus, der in ſeinen ecclesiolae kurzſichtig
geworden iſt, ſich träumen ließ.

Das gedruckte Wort ſteht hinter dem geſprochenen
an augenblicklicher Kraft zurück. Dafür aber hat es
andere Vorteile, welche jenen Mangel wieder aufwiegen.
Die Lebensdauer des geſprochenen Worts iſt in der
Regel kurz. Das gedruckte Wort aber mag noch in
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[400/0414] Eine Einwirkung auf breite Volksmaſſen läßt ſich heute durch das geſprochene Wort ſchwer mehr erreichen. Um ſo energiſcher aber hat man einen parallelen Weg be- treten, welcher recht eigentlich als der Weg zur Volks- bekehrung bezeichnet werden darf. Dieſer Weg iſt das gedruckte Wort. Daß die Miſſion in Japan von dem gedruckten Wort im weiteſten Umfang Gebrauch macht, iſt nicht verwunderlich. Giebt es doch kein Heidenvolk, bei welchem die Leſeluſt und die Leſefähigkeit ſo groß wäre wie hier, kein Heidenvolk, bei welchem die Preſſe eine ſo gewaltige Macht iſt. Dazu kommt, daß man dem gedruckten Wort noch mit größerer Ehrfurcht begegnet als bei uns. Was in Japan bis vor fünfundzwanzig Jahren den gewöhnlichen Leſeſtoff bildete, das waren die heiligen Schriften der chineſiſchen Klaſſiker. Die un- bedingte Autorität, welche ſie beanſpruchten, wirkt heute noch im Volke allem Gedruckten gegenüber nach. Welche Bedeutung das gedruckte Wort ſchon für die Einzelbekehrung beſitzt, davon giebt die ergreifende Be- kehrungsgeſchichte des Wakaſa-no-kami einen ſchlagenden Beleg; und wer es vorher gewohnt war, über die „Traktätlein“ der Pietiſten zu ſpotten, ſollte ihnen lieber im Stillen Abbitte thun. Aber freilich, die Wirkung des gedruckten Wortes muß weiter reichen, als der Pietismus, der in ſeinen ecclesiolae kurzſichtig geworden iſt, ſich träumen ließ. Das gedruckte Wort ſteht hinter dem geſprochenen an augenblicklicher Kraft zurück. Dafür aber hat es andere Vorteile, welche jenen Mangel wieder aufwiegen. Die Lebensdauer des geſprochenen Worts iſt in der Regel kurz. Das gedruckte Wort aber mag noch in fernen Lebensjahren, ja noch zu Kind und Kindeskind

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/414>, abgerufen am 24.11.2024.