Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

des Gefühls gemacht hat, wobei die Mystik zu einer
hervorragenden Geltung gelangte, so werden die prak-
tischen Mongolen Ostasiens den Hauptnachdruck auf die
Seite des Wollens legen und dem Christentum der That
zum Siege zu verhelfen suchen. Vielleicht, daß sie be-
rufen sind, die seitherigen Erscheinungsweisen des Christen-
tums nach dieser Hinsicht zu ergänzen. So wird die
gelbe Rasse durch ihre besonderen Gaben dazu beitragen,
die Harmonie des Christentums, welche von keinem Volke
und keiner Rasse ganz erschöpft werden kann, vollständig
zu machen. Auch dieses schon ist etwas Großes und
des Schweißes der Edlen wert. Aber auch dieses be-
scheidenere Ziel kann nur erreicht werden, wenn neben
der ethischen Seite die beiden anderen nicht vernach-
lässigt werden. Es kann gewiß nicht die Absicht sein,
alle und jede spezifisch japanischen Neigungen zu brechen;
aber was sich dem christlichen Geiste nicht fügen will,
muß gebogen und umgebildet werden.

Unter solchen Umständen dürfte es über jeden
Zweifel erhaben sein, daß eine Volksbekehrung die be-
denklichsten Folgen haben würde. Würde das Christen-
tum auf dem Wege einer Volksbekehrung heute allgemein
angenommen werden, wo die Massen des Volks in
ihrem Geistesleben noch keineswegs erneuert, und wo
selbst die Besten der Nation in den fundamentalsten
Fragen noch durchaus verworren sind, so würde der ja-
panische Geist Herr über den christlichen, so würde das
Resultat mehr ein christlich gefärbter Japanismus als
ein japanisches Christentum sein. Wenn die Evangeli-
sierung der geistigen Erneuerung voranschreiten sollte
und Namen und Schild des Christentums solchen ver-
leiht, welche noch ganz sinnlich positivistisch denken, fühlen
und wollen, läuft der christliche Geist Gefahr, von solchen

des Gefühls gemacht hat, wobei die Myſtik zu einer
hervorragenden Geltung gelangte, ſo werden die prak-
tiſchen Mongolen Oſtaſiens den Hauptnachdruck auf die
Seite des Wollens legen und dem Chriſtentum der That
zum Siege zu verhelfen ſuchen. Vielleicht, daß ſie be-
rufen ſind, die ſeitherigen Erſcheinungsweiſen des Chriſten-
tums nach dieſer Hinſicht zu ergänzen. So wird die
gelbe Raſſe durch ihre beſonderen Gaben dazu beitragen,
die Harmonie des Chriſtentums, welche von keinem Volke
und keiner Raſſe ganz erſchöpft werden kann, vollſtändig
zu machen. Auch dieſes ſchon iſt etwas Großes und
des Schweißes der Edlen wert. Aber auch dieſes be-
ſcheidenere Ziel kann nur erreicht werden, wenn neben
der ethiſchen Seite die beiden anderen nicht vernach-
läſſigt werden. Es kann gewiß nicht die Abſicht ſein,
alle und jede ſpezifiſch japaniſchen Neigungen zu brechen;
aber was ſich dem chriſtlichen Geiſte nicht fügen will,
muß gebogen und umgebildet werden.

Unter ſolchen Umſtänden dürfte es über jeden
Zweifel erhaben ſein, daß eine Volksbekehrung die be-
denklichſten Folgen haben würde. Würde das Chriſten-
tum auf dem Wege einer Volksbekehrung heute allgemein
angenommen werden, wo die Maſſen des Volks in
ihrem Geiſtesleben noch keineswegs erneuert, und wo
ſelbſt die Beſten der Nation in den fundamentalſten
Fragen noch durchaus verworren ſind, ſo würde der ja-
paniſche Geiſt Herr über den chriſtlichen, ſo würde das
Reſultat mehr ein chriſtlich gefärbter Japanismus als
ein japaniſches Chriſtentum ſein. Wenn die Evangeli-
ſierung der geiſtigen Erneuerung voranſchreiten ſollte
und Namen und Schild des Chriſtentums ſolchen ver-
leiht, welche noch ganz ſinnlich poſitiviſtiſch denken, fühlen
und wollen, läuft der chriſtliche Geiſt Gefahr, von ſolchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0407" n="393"/>
des Gefühls gemacht hat, wobei die My&#x017F;tik zu einer<lb/>
hervorragenden Geltung gelangte, &#x017F;o werden die prak-<lb/>
ti&#x017F;chen Mongolen O&#x017F;ta&#x017F;iens den Hauptnachdruck auf die<lb/>
Seite des Wollens legen und dem Chri&#x017F;tentum der That<lb/>
zum Siege zu verhelfen &#x017F;uchen. Vielleicht, daß &#x017F;ie be-<lb/>
rufen &#x017F;ind, die &#x017F;eitherigen Er&#x017F;cheinungswei&#x017F;en des Chri&#x017F;ten-<lb/>
tums nach die&#x017F;er Hin&#x017F;icht zu ergänzen. So wird die<lb/>
gelbe Ra&#x017F;&#x017F;e durch ihre be&#x017F;onderen Gaben dazu beitragen,<lb/>
die Harmonie des Chri&#x017F;tentums, welche von keinem Volke<lb/>
und keiner Ra&#x017F;&#x017F;e ganz er&#x017F;chöpft werden kann, voll&#x017F;tändig<lb/>
zu machen. Auch die&#x017F;es &#x017F;chon i&#x017F;t etwas Großes und<lb/>
des Schweißes der Edlen wert. Aber auch die&#x017F;es be-<lb/>
&#x017F;cheidenere Ziel kann nur erreicht werden, wenn neben<lb/>
der ethi&#x017F;chen Seite die beiden anderen nicht vernach-<lb/>&#x017F;&#x017F;igt werden. Es kann gewiß nicht die Ab&#x017F;icht &#x017F;ein,<lb/>
alle und jede &#x017F;pezifi&#x017F;ch japani&#x017F;chen Neigungen zu brechen;<lb/>
aber was &#x017F;ich dem chri&#x017F;tlichen Gei&#x017F;te nicht fügen will,<lb/>
muß gebogen und umgebildet werden.</p><lb/>
        <p>Unter &#x017F;olchen Um&#x017F;tänden dürfte es über jeden<lb/>
Zweifel erhaben &#x017F;ein, daß eine Volksbekehrung die be-<lb/>
denklich&#x017F;ten Folgen haben würde. Würde das Chri&#x017F;ten-<lb/>
tum auf dem Wege einer Volksbekehrung heute allgemein<lb/>
angenommen werden, wo die Ma&#x017F;&#x017F;en des Volks in<lb/>
ihrem Gei&#x017F;tesleben noch keineswegs erneuert, und wo<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die Be&#x017F;ten der Nation in den fundamental&#x017F;ten<lb/>
Fragen noch durchaus verworren &#x017F;ind, &#x017F;o würde der ja-<lb/>
pani&#x017F;che Gei&#x017F;t Herr über den chri&#x017F;tlichen, &#x017F;o würde das<lb/>
Re&#x017F;ultat mehr ein chri&#x017F;tlich gefärbter Japanismus als<lb/>
ein japani&#x017F;ches Chri&#x017F;tentum &#x017F;ein. Wenn die Evangeli-<lb/>
&#x017F;ierung der gei&#x017F;tigen Erneuerung voran&#x017F;chreiten &#x017F;ollte<lb/>
und Namen und Schild des Chri&#x017F;tentums &#x017F;olchen ver-<lb/>
leiht, welche noch ganz &#x017F;innlich po&#x017F;itivi&#x017F;ti&#x017F;ch denken, fühlen<lb/>
und wollen, läuft der chri&#x017F;tliche Gei&#x017F;t Gefahr, von &#x017F;olchen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0407] des Gefühls gemacht hat, wobei die Myſtik zu einer hervorragenden Geltung gelangte, ſo werden die prak- tiſchen Mongolen Oſtaſiens den Hauptnachdruck auf die Seite des Wollens legen und dem Chriſtentum der That zum Siege zu verhelfen ſuchen. Vielleicht, daß ſie be- rufen ſind, die ſeitherigen Erſcheinungsweiſen des Chriſten- tums nach dieſer Hinſicht zu ergänzen. So wird die gelbe Raſſe durch ihre beſonderen Gaben dazu beitragen, die Harmonie des Chriſtentums, welche von keinem Volke und keiner Raſſe ganz erſchöpft werden kann, vollſtändig zu machen. Auch dieſes ſchon iſt etwas Großes und des Schweißes der Edlen wert. Aber auch dieſes be- ſcheidenere Ziel kann nur erreicht werden, wenn neben der ethiſchen Seite die beiden anderen nicht vernach- läſſigt werden. Es kann gewiß nicht die Abſicht ſein, alle und jede ſpezifiſch japaniſchen Neigungen zu brechen; aber was ſich dem chriſtlichen Geiſte nicht fügen will, muß gebogen und umgebildet werden. Unter ſolchen Umſtänden dürfte es über jeden Zweifel erhaben ſein, daß eine Volksbekehrung die be- denklichſten Folgen haben würde. Würde das Chriſten- tum auf dem Wege einer Volksbekehrung heute allgemein angenommen werden, wo die Maſſen des Volks in ihrem Geiſtesleben noch keineswegs erneuert, und wo ſelbſt die Beſten der Nation in den fundamentalſten Fragen noch durchaus verworren ſind, ſo würde der ja- paniſche Geiſt Herr über den chriſtlichen, ſo würde das Reſultat mehr ein chriſtlich gefärbter Japanismus als ein japaniſches Chriſtentum ſein. Wenn die Evangeli- ſierung der geiſtigen Erneuerung voranſchreiten ſollte und Namen und Schild des Chriſtentums ſolchen ver- leiht, welche noch ganz ſinnlich poſitiviſtiſch denken, fühlen und wollen, läuft der chriſtliche Geiſt Gefahr, von ſolchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/407
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/407>, abgerufen am 24.11.2024.