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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Christentum entsteht nur da, wo eine Persönlichkeit innig
und unlöslich mit Christi Geist verschmilzt, nicht aber,
wo eine Persönlichkeit in Christi Geist untergeht. Das
gehört eben zu der Größe unserer Religion, daß sie die
Menschen nicht alle nach einer Facon modeln will, wie
die Puppen in einer Spielwaarenfabrik, sondern daß sie
jedem einzelnen seine Eigenart zugesteht. Einheit und
Harmonie sucht und findet sie in der Mannigfaltigkeit
und Vielgestaltigkeit. Nirgends ist das Christentum
genau dasselbe. Die Erfahrung beweist, daß es ein
germanisches und ein romanisches Christentum giebt, und
daß deutscher und amerikanischer Protestantismus zwei
unterschiedene Dinge sind. Soll man es den Japanern
verübeln, wenn sie für sich ein japanisches Christentum
erstreben? Hätten nicht auch die alten Deutschen gut
daran gethan, sich dem römischen Christentum eines
Bonifatius gegenüber auf ihre germanische Eigenart zu
besinnen?

Aber freilich, was heißt "japanisches Christentum"?
Auf dem Worte "Christentum" liegt doch wohl unter
allen Umständen ein absolutes Gewicht. Von der Sub-
stanz des Christentums darf nichts verloren gehen. Die
kostbare Perle muß dieselbe bleiben; verschieden ist nur
die Fassung der Perle. Nicht als ob die Fassung etwas
ganz Äußerliches und Nichtssagendes wäre; mag doch
ein Edelstein durch seine Fassung eine Eigenart der
Ausstrahlung und Lichtwirkung erhalten. Wenn sich
nun die japanischen Christen den kultischen Formen
und den Kirchenverfassungen der fremden Missionen
gegenüber zwar nicht ablehnend verhalten, wenn sie
dieselben aber doch nur einstweilen annehmen mit dem
Vorbehalt, dieselben später eventuell den japanischen
Verhältnissen anzupassen, so kann man nur mit ihnen

Chriſtentum entſteht nur da, wo eine Perſönlichkeit innig
und unlöslich mit Chriſti Geiſt verſchmilzt, nicht aber,
wo eine Perſönlichkeit in Chriſti Geiſt untergeht. Das
gehört eben zu der Größe unſerer Religion, daß ſie die
Menſchen nicht alle nach einer Façon modeln will, wie
die Puppen in einer Spielwaarenfabrik, ſondern daß ſie
jedem einzelnen ſeine Eigenart zugeſteht. Einheit und
Harmonie ſucht und findet ſie in der Mannigfaltigkeit
und Vielgeſtaltigkeit. Nirgends iſt das Chriſtentum
genau dasſelbe. Die Erfahrung beweiſt, daß es ein
germaniſches und ein romaniſches Chriſtentum giebt, und
daß deutſcher und amerikaniſcher Proteſtantismus zwei
unterſchiedene Dinge ſind. Soll man es den Japanern
verübeln, wenn ſie für ſich ein japaniſches Chriſtentum
erſtreben? Hätten nicht auch die alten Deutſchen gut
daran gethan, ſich dem römiſchen Chriſtentum eines
Bonifatius gegenüber auf ihre germaniſche Eigenart zu
beſinnen?

Aber freilich, was heißt „japaniſches Chriſtentum“?
Auf dem Worte „Chriſtentum“ liegt doch wohl unter
allen Umſtänden ein abſolutes Gewicht. Von der Sub-
ſtanz des Chriſtentums darf nichts verloren gehen. Die
koſtbare Perle muß dieſelbe bleiben; verſchieden iſt nur
die Faſſung der Perle. Nicht als ob die Faſſung etwas
ganz Äußerliches und Nichtsſagendes wäre; mag doch
ein Edelſtein durch ſeine Faſſung eine Eigenart der
Ausſtrahlung und Lichtwirkung erhalten. Wenn ſich
nun die japaniſchen Chriſten den kultiſchen Formen
und den Kirchenverfaſſungen der fremden Miſſionen
gegenüber zwar nicht ablehnend verhalten, wenn ſie
dieſelben aber doch nur einſtweilen annehmen mit dem
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[382/0396] Chriſtentum entſteht nur da, wo eine Perſönlichkeit innig und unlöslich mit Chriſti Geiſt verſchmilzt, nicht aber, wo eine Perſönlichkeit in Chriſti Geiſt untergeht. Das gehört eben zu der Größe unſerer Religion, daß ſie die Menſchen nicht alle nach einer Façon modeln will, wie die Puppen in einer Spielwaarenfabrik, ſondern daß ſie jedem einzelnen ſeine Eigenart zugeſteht. Einheit und Harmonie ſucht und findet ſie in der Mannigfaltigkeit und Vielgeſtaltigkeit. Nirgends iſt das Chriſtentum genau dasſelbe. Die Erfahrung beweiſt, daß es ein germaniſches und ein romaniſches Chriſtentum giebt, und daß deutſcher und amerikaniſcher Proteſtantismus zwei unterſchiedene Dinge ſind. Soll man es den Japanern verübeln, wenn ſie für ſich ein japaniſches Chriſtentum erſtreben? Hätten nicht auch die alten Deutſchen gut daran gethan, ſich dem römiſchen Chriſtentum eines Bonifatius gegenüber auf ihre germaniſche Eigenart zu beſinnen? Aber freilich, was heißt „japaniſches Chriſtentum“? Auf dem Worte „Chriſtentum“ liegt doch wohl unter allen Umſtänden ein abſolutes Gewicht. Von der Sub- ſtanz des Chriſtentums darf nichts verloren gehen. Die koſtbare Perle muß dieſelbe bleiben; verſchieden iſt nur die Faſſung der Perle. Nicht als ob die Faſſung etwas ganz Äußerliches und Nichtsſagendes wäre; mag doch ein Edelſtein durch ſeine Faſſung eine Eigenart der Ausſtrahlung und Lichtwirkung erhalten. Wenn ſich nun die japaniſchen Chriſten den kultiſchen Formen und den Kirchenverfaſſungen der fremden Miſſionen gegenüber zwar nicht ablehnend verhalten, wenn ſie dieſelben aber doch nur einſtweilen annehmen mit dem Vorbehalt, dieſelben ſpäter eventuell den japaniſchen Verhältniſſen anzupaſſen, ſo kann man nur mit ihnen

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/396>, abgerufen am 22.11.2024.